In der Not klammern sich Menschen an jeden noch so kleinen Strohhalm, der Rettung verheißt. Im Kampf gegen das unsichtbare Coronavirus ist dieses Verhalten nur allzu verständlich - emotional jedenfalls. Ob eine Schutzmaßnahme aber hilfreich sein kann, lässt sich nur rational beurteilen. Oft genügt schon ein kurzes Nachdenken, um einen verlockend klingenden Einfall als mehr oder weniger sinnlos zu entlarven. Zu dieser Kategorie gehört die vom deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn zu Beginn der Krise geforderte flächendeckende Ortung (Tracking) der Mobiltelefone.
Der Vorstoß des Christdemokraten war im Bundestag nicht mehrheitsfähig - aus guten Gründen. Denn die von Spahn angestrebte Auswertung sogenannter Funkzellen der mobilen Netze wäre schon aus technischen Gründen sinnlos. Zwar lassen sich damit weiträumig alle empfangsbereiten Geräte lokalisieren, allerdings nur sehr grob. Eine Funkzelle kann je nach Topographie aber mehrere Quadratkilometer umfassen. Und damit beginnen die - im Zweifelsfall unlösbaren - Probleme.
Gesundheitsminister Jens Spahn setzte auf das falsche Pferd
Selbst in diesen Zeiten mit starken Bewegungseinschränkungen können sich in einer vergleichsweise großen Zelle viele Menschen aufhalten. Man denke nur an einen Platz mit mehreren Lebensmittelgeschäften, Apotheken und Arztpraxen. Zwar ist dort zurzeit viel weniger los als vor der Coronakrise, aber immer noch genug, um eine erfolgversprechende Ortung und Auswertung aller mobilen Geräte scheitern zu lassen. Denn der exakte physische Abstand zwischen allen erfassten Geräten und damit ihren Trägern kann in Funkzellen nicht annähernd ermittelt werden.
Diese Einsicht hätte auch der ansonsten in der Coronakrise besonnen und klug handelnde Gesundheitsminister rechtzeitig haben können. Zumindest wäre es Aufgabe seiner Experten gewesen, ihn über die Sinnlosigkeit seines Vorstoßes zu informieren. So bleibt im Rückblick der Eindruck gespielter Entschlossenheit haften - auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Und die ist eine wichtige Voraussetzung, um Akzeptanz für weitere Einschnitte in sonst selbstverständliche Freiheiten und Rechte zu schaffen.
Ein technisches Medikament gegen Corona: Bluetooth
Und angesichts der beispiellosen Bedrohung durch Corona sind selbst chronisch kritische Menschen bereit, zumindest vorübergehend sogar massive Einschränkungen zu akzeptieren. Das gilt auch für den Schutz der Privatsphäre, also den Datenschutz. Dass die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit stets einer Einzelfallprüfung bedarf, sollte selbstverständlich sein. Datenschutz ist kein Selbstzweck! Deshalb darf auch der Einsatz moderner Technik kein Tabu sein, so lange er verhältnismäßig und erfolgversprechend ist.
Und schon kommen wieder die in Deutschland immer noch als "Handy" bezeichneten Smartphones ins Spiel. Mit einer datensparsamen App ließe sich dank der Bluetooth-Technik der Kreis potenziell Infizierter sinnvoll eingrenzen. Denn anders als in der Funkzelle können sich solche Geräte sehr präzise gegenseitig erkennen. Gerade auch auf kurze Distanzen, wie dem empfohlenen Abstand von mindestens 1,5 Metern zwischen Person A und B.
Das Smartphone ist keine Wunderwaffe
Sollte nun eine der beiden mit Corona infiziert sein, wäre es ein Leichtes, den Kreis der gefährdeten Kontaktpersonen mit einer Bluetooth-App einzukreisen. Um potenziell Betroffene lückenlos zu finden, müssten allerdings alle Beteiligten ein entsprechend programmiertes Gerät mit sich führen. Davon ist Deutschland rein statistisch allerdings noch weit entfernt. Ende 2018 nutzten lediglich 57 Prozent ein Smartphone. Es wäre also recht naiv, mobile Technik für eine Allzweckwaffe im Kampf gegen Corona zu halten.
Dennoch kann sie unter weitgehender Wahrung des Datenschutzes hilfreich zur Eindämmung des Virus sein. An einer Bluetooth-App, wie sie in Singapur Berichten zufolge schon erfolgreich im Einsatz sein soll, arbeitet nach eigenen Angaben seit einiger Zeit auch schon das Robert-Koch-Institut mit anderen Institutionen zusammen. Dem Vernehmen nach soll die App den im internationalen Vergleich strengen europäischen Datenschutzregeln entsprechen.
Niemand darf zum Nutzen der App gezwungen werden
Das würde bedeuten: nur sparsame Speicherung sowie Übertragung sensibler Daten. Und Löschung, sobald sie nicht mehr benötigt werden. Also spätestens, wenn die Coronakrise ausgestanden ist. All das scheint möglich zu sein. Trotzdem bleibt ein nur schwer beeinflussbarer Faktor übrig: die Freiwilligkeit. Niemand darf gezwungen werden, die Bluetooth-App zu installieren. Je besser und glaubwürdiger jedoch die vorübergehende Notwendigkeit von Politikern und Wissenschaftlern begründet wird, desto größer sind die Erfolgschancen.