Vor dem G7-Gipfel
4. Juni 2014Auf den ersten Blick fühlt man sich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt. Bilder und Schlagzeilen suggerieren dieser Tage, dass in Europa ein neuer Kalter Krieg geführt wird: Die Präsidenten Polens und der USA posieren unmittelbar nach der Ankunft Obamas in Warschau vor F-16-Kampfjets. Der US-Präsident überreicht einen polnischen Freiheitspreis an den ehemaligen Führer der Krim-Tataren, der von Russland daran gehindert wird, in seine Heimat zurückzukehren. Die NATO-Verteidigungsminister beschließen Truppenverstärkungen an ihrer Ostgrenze und diskutieren über den Aufwuchs der nationalen Militärbudgets.
Zäsuren auch im politischen Event-Kalender: Absage des G8-Gipfels im russischen Sotschi. Stattdessen nun heute und morgen (04./05.06.2014) ein G7-Treffen ohne Russland im schmucklosen Ratsgebäude der Europäischen Union in Brüssel. Und schon am Himmelfahrtstag war die traditionelle Verleihung des Karls-Preises in Aachen dazu genutzt worden, den Russland-kritischen Ministerpräsidenten Georgiens, der Ukraine und der Republik Moldau eine europäische Plattform zu bieten.
Die Krim ist verloren
Der Adressat all dieser symbolischen Maßnahmen: Wladimir Putin. Sie sind der mehr oder minder erfolglose Versuch, die russische Ukraine-Politik, insbesondere die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, zu sanktionieren. Dabei ist man sich in allen Hauptstädten der G7-Staaten längst bewusst, dass die Krim für die Ukraine unwiederbringlich verloren ist. Wenn überhaupt, kann es nur noch darum gehen, weitere Aggressionen Russlands gegenüber seinen Nachbarn zu verhindern.
Und genau aus diesem Grund steuern die westlichen Staatenlenker keinen kompromisslosen Konfrontationskurs. Deutlichstes Zeichen in dieser Woche: Bei der Feier des 70. Jahrestages der alliierten Landung in der Normandie ist Putin weiterhin gern gesehener Gast. Und Frankreichs Präsident Francois Hollande genauso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzen die Gelegenheit, Vier-Augen-Gespräche mit Putin zu führen. Wie sich im übrigen auch der russische und der amerikanische Außenminister parallel zum G7-Gipfel in Paris treffen. Sie alle eint die Hoffnung, dass Russland nach einigen symbolischen Nadelstichen nun vor allem durch gutes Zureden seine Politik ändern möge.
Niemand will den Konflikt
West-Europa, allen voran Deutschland, ist an einer Zuspitzung des Konflikts in keiner Weise gelegen: Scharfe Wirtschaftssanktionen träfen die deutsche Wirtschaft kaum weniger hart als Russland. Eine massive Erhöhung des Wehretats hieße Streichen in den Bildungs- und Sozialetats - nichts ist unpopulärer in Deutschland. Und deutsche Soldaten im Kampfeinsatz für den Schutz der Ukraine? Unvorstellbar! Wie überhaupt überraschend viele Deutsche in Meinungsumfragen Verständnis für die russische Annexion der Krim zeigen. Weil sie ja unwidersprochen eindeutig dem Mehrheitswillen der dort lebenden Menschen entspricht. Das deeskalierende Engagement der Bundeskanzlerin wird zweifelsfrei vom Mehrheitswillen der Deutschen getragen.
Obamas Scheckbuch-Diplomatie
Selbst Obamas Gastgeschenke von Warschau sind nur auf den ersten Blick großzügig und konfrontativ. Eine Milliarde Dollar ist zwar sehr viel Geld. Aber wenn Polen oder die baltischen Staaten ernsthaft bedroht würden, ließe sich die russische Armee mit mehr Manövern im Ostsee-Raum wohl kaum aufhalten. Massive NATO- oder US-Truppen in Polen bleiben jedoch weiterhin ein Tabu. Die West-Europäer lehnen dies ohnehin ab und auch Obama will keine neuen Brandherde für die USA schaffen – das hat er vergangene Woche vor den Kadetten in Westpoint mehr als deutlich betont.
Wladimir Putin kann dies alles recht sein. Der Bürgerkrieg im Donbass destabilisiert absehbar die Ukraine. Nie zuvor war die Ukraine unattraktiver für eine perspektivische EU-Mitgliedschaft. Sein Etappenziel hat Putin damit erreicht. Und trotzdem fällt der Kalte Krieg in Europa bis auf weiteres aus.