Es hätte alles so schön sein können: Der Papst, Nachfolger des Apostels Petrus, fünf Tage zu Gast in Krakau. Hunderttausende begeisterte junge Menschen, die Welt schaut hin. Und es ist angerichtet in der besten Stube der Stadt, dem Hof des Wawel, der alten Königsburg. Nur ein paar Schritte entfernt von der Grablege des 2010 bei einem Flugzeugabsturz getöteten Lech Kaczynski, des neuen säkularen Nationalheiligen.
Dann kommt der Papst und redet einfach da herein. Papst Franziskus macht ziemlich unverblümt klar, was ihm nicht passt am Kurs der polnischen Politik, was er sich anders wünscht. Das ist dann das wahre Fest. Die Rede des Franziskus - sie kann hier nicht so scheppernd sein wie die Europa-Kritik im Straßburger Europa-Parlament im November 2014, wie bei der Entgegennahme des Karlspreises vor knapp drei Monaten im Vatikan. Aber sie ist deutlich genug.
Franziskus spricht wie Johannes Paul II.
Dabei geht es nicht nur um den restriktiven Kurs der nationalkonservativen Führung in Warschau bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Schon in der Hommage an den polnischen Gastgeber schwingt Kritik mit. Franziskus nennt da (es könnten übrigens passagenweise Worte seines großen polnischen Vorgängers, Johannes Paul II., sein) den "Traum eines neuen europäischen Humanismus", der gemeinsamen, vom Christentum geprägten Kultur Gesamteuropas. Spricht von einem "Identitätsbewusstsein ohne jede Überheblichkeit". Wirbt für "Offenheit für die Erneuerung". Mahnt zur "Einigkeit auch bei Meinungsverschiedenheiten". Lobt die von den Kirchen angestoßene deutsch-polnische Aussöhnung. Erinnert das gewiss fromme Auditorium daran, dass Gott "Schwierigkeiten in Chancen verwandelt und neue Situationen schafft, wo es unmöglich erschien". Und dann ein eigener Absatz ausdrücklich über Migration: Es sei "die Bereitschaft zur Aufnahme derer notwendig, die vor Kriegen und Hunger fliehen. Die Solidarität gegenüber jenen, die ihrer Grundrechte beraubt sind." Es gehe, kurz und knapp, darum, "das Mögliche zu tun, um Leiden zu mindern".
Die schöne Festgesellschaft im Wawel: Ministerpräsidentin Beata Szydlo, die Stunden zuvor noch die deutsche Kanzlerin wegen des Kurses in der Flüchtlingspolitik vehement kritisiert hatte. Deren Innenminister vor den Papst-Worten in etwa verkündete, Frankreich und Deutschland zeigten das Scheitern von Multikulturalismus - was der Mann aus Rom auch sage, Polen bleibe bei seinem Kurs. Sie bemühten sich um freundliche Gesichter. Und übrigens auch die anwesenden Bischöfe des Landes, von denen viele schon als Priester den Kommunismus erlebten und die jetzt so froh sind um so viel Konservatives, auch Nationales.
Ihnen allen redet Franziskus ins Gewissen, den Bischöfen auch noch einmal hinter verschlossenen Türen. Der "Papst aus der Ferne" erinnert Europa und Polen an grundlegende Werte, an die dem Kontinent eingeschriebene christliche Botschaft. Gewiss erwartet er nicht, dass Polens Führung wie weiland Merkel agiert und europäische Regelungen in gefühlter Not ignoriert. Aber er formuliert Erwartungen - Erwartungen, die angesichts der neuen Debatte nach den grässlichen Attacken für jedes Land Europa gelten. Und vielsagend ist, dass - ungewöhnlich im Vorfeld einer solchen Reise - der Vatikan vorab klarstellte, Papst und Polens Bischöfe seien in der Flüchtlingsfrage einig. Diese, denkt man da, wussten es gewiss nur noch nicht...
Selektive Wahrnehmung der Papstworte
Ein Detail zeigt, wie notwendig die Worte des Papstes für dieses Polen 2016 sind: Die neue Regierung der PiS-Partei hat den staatlichen Rundfunk auf Linie gebracht. Die Rede des Papstes ist Aufmacher im Online-Angebot des Staatsfernsehens. Und dort heißt es dann, der Papst habe bekräftigt, dass Polen, dieses Auswandererland, seinen eigenen Auswanderern "die Rückkehr erleichtern" solle. Erst später schwenkte man ein auf das, was Journalisten aus aller Welt fast wortgleich berichteten: "Papst mahnt Polen zur Aufnahme von Flüchtlingen."
Man ahnt, wie heftig offenbar schon im Vorfeld um die Papstrede gerungen wurde. Denn auch andere Details der Besuchsplanung werden hier gut kolportiert: Die politische Führung habe gewünscht, dass der Papst das Grab von Lech Kaczynski besuche - dessen Grablegung hier, an der Seite der polnischen Könige, doch eher ungewöhnlich ist. Es seien ein paar Schritte nur, Stufen hinab zu den Gräbern vieler großer Polen. Nein, sagte Rom. Die hohen Stufen..., sagt das Gerücht. Man werde ihm eben eine Rolltreppe bauen..., soll es von ziemlich hoher polnischer Stelle geheißen haben. Nein. Es blieb dabei: Der Papst ging nicht zu Kaczynskis Grab. Aber es könnte aufgefallen sein, wie beherzt Franziskus dann im Wawel die enge Treppe hoch zum Treffen mit dem Staatspräsidenten nahm.
Es können noch spannende Tage werden mit Franziskus in Polen.
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