Airbus oder Airbag?
Es ist zu früh, die Sektkorken knallen zu lassen, aber immerhin: Das bei einer Kabinettsklausur in Potsdam verabschiedete Strategiepapier zu Künstlicher Intelligenz (KI) ist der erste wichtige politische Impuls, den die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode gesetzt hat. Der Amtsantritt der Regierung liegt zwar schon acht Monate zurück, aber immerhin. Auf manche der jetzt beschlossenen Technologien wartet Deutschland nämlich schon seit Jahren.
Nur der Koalitionsvertrag ist länger
Die Eckpunkte, auf die sich die Regierung geeinigt hat, sind ein wichtiger Impuls für die nächsten Jahre - und sehr ambitioniert.
Das dazugehörige Strategiepapier, das im Dezember vorgestellt werden soll, ist beinahe 80 Seiten lang und damit fast halb so lang wie der Koalitionsvertrag. Die Bundesregierung jedenfalls scheint inzwischen verstanden zu haben: Digitalisierung ist kein exklusives Infrastruktur- oder Wirtschaftsthema - es geht alle Teile der Gesellschaft an. Und allein im nationalen Rahmen lässt sich das wenigste bewegen.
Kein Wunder also, dass Bundeswirtschaftsminister Altmaier deshalb die Idee eines "Airbus der Künstlichen Intelligenz" propagiert. Nur mit einem solchen europaweiten industriellen Zusammenschluss könne man mit führenden Internetriesen wie den US-Konzernen Facebook, Google und Amazon, aber auch dem chinesischen Marktführer Baidu konkurrieren. Doch weiß auch Altmaier, dass die Politik ein solches Projekt nicht dekretieren, sondern nur im Dialog mit der Industrie entwickeln kann.
Doch die - zumindest die deutsche - sieht die Vorhaben der Bundesregierung skeptisch. Zu desillusioniert ist man vom mangelnden Fortschritt des grundlegenden Infrastrukturausbaus, der Deutschland als digitalen Standort fit macht.
Zwar ist das nun verabschiedete Drei-Milliarden-Euro-Paket doppelt so groß wie das, was Frankreich für seine KI-Politik angekündigt hat. Aber zum einen ist Deutschland spät dran und will sich zum anderen auch mehr Zeit lassen. Die hat es aber nicht. Und das Budget kommt bei weitem nicht an das Investitionsvolumina heran, mit denen sich die USA und China bereits seit Jahren einen Innovationswettstreit liefern.
Deutschland muss sich positionieren
Ein wichtiger Bereich, in dem KI eine elementare Rolle spielen wird, ist im deutschen Strategiepapier bislang nur spärlich beschrieben: die militärische Nutzung solcher Technologien. Die USA und China machen keinen Hehl daraus, an KI-basierten Waffensystemen zu forschen. Auch die EU hat längst erkannt, dass die Mitgliedsländer - wenn sie denn wirklich einmal eine gemeinsame Sicherheitspolitik gestalten wollen - sich mit Künstlicher Intelligenz auch im Verteidigungssektor auseinandersetzen müssen. Die Bundesregierung aber will sich bisher allein auf eine "umfassende Bewertung" festlegen.
Doch gerade hier muss sich Deutschland deutlicher positionieren, weil es bei KI um mehr geht als nur um die Stärkung des Mittelstands und des Forschungsstandortes Deutschland, auf den die Strategie der Bundesregierung bislang ihren Fokus legt. Es geht um die Deutungshoheit und die Festlegung von Standards einer Technologie, die - wie nur wenige industrielle Erfindungen zuvor - Gesellschaftsordnungen global verändern könnte. "Wir wollen Digitalisierung so denken, dass der Mensch im Mittelpunkt steht", sagt die Kanzlerin. Und natürlich auch die bewährten Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft.
Und so ist die Bundesregierung doppelt gefordert: Sie muss sich zum einen an dieser internationalen Grundsatzdiskussion aktiv beteiligen. Und sie muss der neuen Technologie unter Wahrung unserer gesellschaftlichen Werte den Weg bereiten - und zwar sehr schnell. Sonst droht anstelle eines technologischen Höhenflugs ein harter Aufprall.