Corona wirft die Frauen zurück
Wir hören in diesen Tagen ständig, in dieser Krise säßen wir alle im selben Boot: Das Virus diskriminiere schließlich nicht. Das ist Quatsch. Klar, alle haben ihre ganz eigenen Herausforderungen. Aber die Quarantäne ist mit großem Garten und Pool sicher besser zu ertragen als in einer 60 Quadratmeter-Wohnung ohne Balkon. Risikogruppen müssen sich mehr sorgen als Menschen ohne Vorerkrankung. Und Frauen sind in der Pandemie benachteiligter als Männer.
Während sich für IHN nämlich oft nicht viel ändert, vollzieht IHR Leben eine komplette Kehrtwende. Er richtet zu Hause sein Homeoffice ein, in das er sich morgens setzt, um wie gewohnt seinen Job zu machen. Manchmal kommt er mittags raus, dann gibt es schließlich was zu Essen. Ansonsten arbeitet ER weiterhin Vollzeit. Das wird von seinem Arbeitgeber so erwartet und häufig verdient er schließlich auch viel mehr Geld als SIE. Somit ist sein Job also wichtiger, lautet der gemeinsame Beschluss.
Nachdenken über den Gang zum Scheidungsanwalt
Sie hingegen bespaßt in der Zwischenzeit die Kleinkinder, unterrichtet die Schulkinder, wischt die Krümel in der Küche weg (nach mehreren Wochen zu Hause stecken sie in jeder Ritze!), kocht das Mittagessen, stellt sich - wenn die Kinder mittags ruhen - in die Schlange vor dem Supermarkt und beantwortet währenddessen die wichtigsten beruflichen Emails. Der Rest wird erst abgearbeitet, wenn die Kinder endlich schlafen. Und abends im Bett denkt SIE darüber nach, dass der erste Gang nach der Pandemie zum Scheidungsanwalt führen wird.
So sieht das neue "Homeoffice" der Frauen aus. Managerinnen, Wissenschaftlerinnen, Designerinnen, Journalistinnen und und und erleben in diesen Tagen fast eine Rückkehr in die 1950er Jahre - außer, dass sie im Gegensatz zu ihren Großmüttern eben auch noch ihre Vollzeitjobs leisten müssen. So oder ähnlich höre ich es von vielen meiner Freundinnen in ganz Europa und den USA.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass es Frauen mit Kindern in dieser Krise schlechter geht als Männern mit Kindern. Die mühsam ausgeklügelten Hilfsstrukturen, die sich Frauen aufgebaut haben, um ein gleichberechtigtes Leben führen zu können, in dem auch SIE Vollzeit arbeiten kann - Kita, Schule, Babysitter, Großeltern, Putzhilfe - sind komplett weggebrochen. Und so fällt Frau unverschuldet in alte Rollenklischées - Konzentration auf Erziehungsarbeit und Haushalt - trägt die Hauptlast, während MANN weitermacht wie gehabt.
Frauen trifft die Krise härter
Das soll jetzt nicht heißen, dass es nicht auch Männer gibt, die ihren Teil leisten. Aber strukturell stimmte eben schon vor der Krise vieles noch nicht bei der Gleichberechtigung. Und die Pandemie legt das jetzt offen.
Fakt ist: Krisen treffen Frauen ökonomisch und sozial fast immer härter als Männer. Und natürlich trifft es Frauen in ärmeren Ländern noch viel härter als Frauen in der westlichen Welt. Das war so nach der Ebola-Epidemie in Westafrika und nach der globalen Finanzkrise. Auch diesmal prognostizieren Studien, dass gerade junge, weibliche Geringverdiener besonders betroffen sein werden. Die Vereinten Nationen erwarten 15 Millionen weitere Fälle von häuslicher Gewalt in diesem Jahr. Weil Frauen oft die systemrelevanten Jobs haben - Krankenschwester, Altenpflegerin, Verkäuferin - sind sie zudem dem Virus stärker ausgesetzt als Männer. Eine Schieflage.
Ohne Frauen geht es nicht
Was sich allerdings in der Krise auch ganz deutlich zeigt: Ohne Frauen würden lebenswichtige Dinge gar nicht funktionieren. Und das muss FRAU als Chance ergreifen - und ganz klar deutlich machen, was SIE während dieser Krise leistet: Ein für alle Mal muss SIE deutlich machen, dass es ohne sie nicht geht. Dass sie für ihre Arbeit angemessen bezahlt werden muss. Dass sich Mann wie Frau um Kind und Haushalt kümmern sollten. Und vor allem, dass SIE gewertschätzt wird in ihrem Tun! Dabei kann sie nur hoffen, dass Mann und Politik SIE diesmal endlich hören und wahrnehmen.
Wer nicht glauben will, dass Frauen in diesen Tagen zu Superheldinnen mutieren, muss nur einmal in die Pflegeheime, Krankenhäuser und Supermärkte schauen. Oder in die Länder, die von Frauen regiert werden. Dort läuft es nämlich beim Kampf gegen Corona häufig besser als in den Ländern, in denen ein Mann an der Spitze steht. Ein Zufall?