Die EU ist wichtiger als Timoschenko
18. September 2013Der Vertrag ist ausgehandelt. Auch das Datum für die Unterzeichnung des Dokuments steht fest. Ende November auf dem Gipfeltreffen der EU-Ostpartnerschaft in Vilnius will die Ukraine das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen unterschreiben. Vielleicht ist es für die Ukraine die letzte Gelegenheit, politisch und wirtschaftlich eng an die Europäische Union heranzurücken: mehr Warenaustausch und Investitionen, Energieimporte aus der EU, die Chance auf Wohlstand und politische Stabilität, vielleicht sogar eine Aufhebung der Visumpflicht. Für die Menschen wäre das eine gute Perspektive.
Schlingerkurs zwischen Russland und EU
Doch die Ukraine ist nach wie vor auf einem Schlingerkurs zwischen Moskau und Brüssel. Russland, das sich nie so ganz mit dem Verlust der Ukraine abgefunden hat, will Kiew den Weg zur EU versperren. Es lockt mit einer zweifelhaften Zollunion von Ex-Sowjetrepubliken. Die Vergangenheit lässt grüßen. Und wenn die Ukraine nicht auf Moskau hören will, dann werden Handelsschranken aufgebaut, die Grenzen für den Güterverkehr dicht gemacht. Russland hat das bereits vorgemacht. Peitsche statt Zuckerbrot. Die Zollunion ist für die Ukraine nur zu haben, wenn sie sich Moskaus Spielregeln beugt und das heißt: Verzicht auf eigene Souveränität.
Die Machteliten in Kiew wissen das. Wohl vor allem deshalb betreibt die ukrainische Führung die Annäherung an die EU. Der Abschluss des Assoziierungsvertrages ist erklärtes Ziel. Doch unter Präsident Viktor Janukowitsch ist das Land autoritärer geworden. Es hat sich von demokratischen und rechtsstaatlichen Werten der EU entfernt. Entscheidende Voraussetzungen für die EU-Assoziierung hat Kiew bislang nicht erfüllt.
Mehr als eine humanitäre Geste
Noch immer ist Julia Timoschenko im Gefängnis. Sie war die wichtigste Oppositionsführerin der Ukraine. Verurteilt wurde sie nach Paragrafen, die aus der Sowjetzeit stammen und politisch ausgerichtet sind. Die Freilassung und Ausreiseerlaubnis für die schwer kranke Politikerin in ein Krankenhaus ihrer Wahl im Ausland wäre ein Akt der Humanität. Ärzte der Berliner Charité behandeln sie im Gefängnis unter unwürdigen Umständen.
Doch es geht um mehr als Timoschenko. Die selektive und politisch motivierte Justiz muss beendet werden. Trotz zahlreicher Ankündigungen hat die Ukraine die von der EU geforderten Reformen im Justizsystem nur teilweise umgesetzt. Noch immer verfügen ukrainische Staatsanwälte über eine Machtfülle wie zu Sowjetzeiten. Staatliche Richter sind keineswegs unabhängig. Prozesse und Urteile kann sich in der Ukraine jeder bestellen, der genügend Geld oder Einfluss hat. Die Machteliten profitieren davon. Aber die Geschäftswelt leidet ebenso wie die Bürger, wenn sie in den Mühlen der Justiz landen.
Auch das von der EU geforderte neue Wahlgesetz hat die Ukraine noch nicht verabschiedet. Europäische Experten haben an der Ausarbeitung mitgewirkt. Doch es fehlte bislang der politische Wille in Kiew, das Gesetz zu beschließen. Auch deshalb steht der Abschluss des Assoziierungsvertrages auf der Kippe.
Amnestieregelung für Timoschenko
Die EU hat ein Interesse daran, dass die Ukraine an ihrer Außengrenze wirtschaftlich und politisch stabil ist. Sie hat kein Interesse an einem autokratischen System nach dem Muster von Belarus. Deshalb darf sie nicht zulassen, dass die Ukraine ein Spielball Moskaus bleibt. Doch sie muss verlangen, dass die Ukraine europäische Werte und Menschenrechte beachtet.
Eine Amnestieregelung für Timoschenko muss kommen, wenn die Ukraine nach Europa will. Deutschland ist bereit, sie aufzunehmen und in einem Krankenhaus medizinisch zu behandeln. Die Bundesregierung hat das sehr deutlich gemacht. Es ist höchste Zeit, dass Präsident Janukowitsch dieses Angebot annimmt. Die EU-Perspektive ist wichtiger für die Ukraine als die weitere Strafverfolgung von Timoschenko. Alle weiteren Stolpersteine auf dem Weg nach Europa können danach aus dem Weg geräumt werden.