Ein Besuch zur Unzeit
Das Bild sollte eine eindeutige Botschaft vermitteln: Hier die Bittstellerin, dort der starke Mann am längeren Hebel. Finster dreinblickend, eine Hand lässig über die Lehne seines goldverzierten Thronstuhls gehängt, saß der türkische Staatspräsident Erdogan neben der bedrückt dreinblickenden Bundeskanzlerin Merkel, die er keines Blickes würdigte.
Ob der Besuch der Bundeskanzlerin am Ende tatsächlich ein Bittgang war, der vor allem der Regierung in Ankara nutzte, werden die nächsten Wochen zeigen. Denn es gab nur Absichtserklärungen und noch keine konkreten Ergebnisse. Ankara erklärte sich bereit zu versuchen, die Flüchtlinge, die über ihr Land gen Europa ziehen, aufzuhalten. Mit dem Geld und der Hilfe der Europäischen Union.
Bloß wie das gelingen soll, ist bei einem Blick auf die Landkarte schleierhaft. Die 800 Kilometer Grenze zu Syrien lassen sich so wenig wirksam überwachen wie die zerfranste Ägäis-Küste zwischen der Türkei und Griechenland. Und auch die Idee, gemeinsam Transitlager einzurichten, von wo aus jeweils einem bestimmten Kontingent an Flüchtlingen die legale Weiterreise nach Europa erlaubt werden soll, ist weltfremd. Nur ein Bruchteil der zwei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei lebt heute noch in den Lagern entlang der Grenze, die meisten versuchen ihr Glück in den türkischen Großstädten – oder wollen weiterreisen. Wie will man sie zurück in die Lager bringen? Mit Zwang?
Überwiegend Symbolik
Für Zugeständnisse der Türkei bei der "Eindämmung" des Flüchtlingsproblems bietet die Bundeskanzlerin im Namen der EU Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger an. Dabei gibt es diese bereits für bestimmte Berufsgruppen wie Geschäftsleute oder Künstler. Und Merkel kündigte an, dass die praktisch auf Eis liegenden EU-Beitrittsverhandlungen wieder aufgenommen werden - noch in diesem Jahr soll ein weiteres Kapitel eröffnet werden. Auch das ist nicht mehr als Symbolik. Entscheidend für den Beitrittsprozess ist nicht wie viele Verhandlungskapitel eröffnet worden sind, sondern wie viele erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Es waren in zehn Jahren: ein einziges.
Ankara möchte nicht nur zu einem sicheren Drittland erklärt werden, in das man Flüchtlinge wieder zurückschicken kann, sondern "sicheres Herkunftsland" sein. Doch ist die Türkei das? Nach Ansicht von Angela Merkel ja - bei ihrem Besuch in Istanbul hat sie das noch einmal deutlich gemacht. Schließlich handele es sich um einen NATO-Partner und EU-Beitrittskandidaten. Nur: NATO-Mitglied war die Türkei auch während der brutalen Zeit der Militärjunta in den 1980er Jahren. Und EU-Beitrittsverhandlungen begannen zu einer Zeit (2004) als die Türkei tiefgreifende Reformen durchlief und die Regierung Erdogan mit den Kurden über Frieden verhandelte.
Elf Jahre später aber ist das Bild ein anderes: Der Bürgerkrieg zwischen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem Staat ist wieder voll entbrannt und die Gängelung der Presse so gravierend, dass internationale Organisationen alarmiert sind. Und schließlich: Der Terror auf der Straße droht die Türkei zu einem "normalen" Land des Nahen Ostens zu machen.
Appell verhallt ungehört
So sieht kein "sicheres Herkunftsland" aus, sagen auch die 100 kritischen türkischen Intellektuellen, die sich vorab in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin gewandt haben. Sie hatten Merkel aufgefordert, nicht um des eigenen innenpolitischen Profits willen hinzunehmen, dass europäische Werte wie Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei missachtet werden. "Lassen sie ihren Besuch nicht wie Wahlkampf-Unterstützung aussehen", appellierten sie. Sie wurden, wie viele andere türkische Demokraten, enttäuscht. Das Wort Menschenrechte erwähnte die Bundeskanzlerin auf der Pressekonferenz in Istanbul mit keinem Wort. Und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu fuhr danach zufrieden auf eine Wahlkampfveranstaltung.
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