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Enttäuschende Visionäre

13. Juni 2015

Syriza ist angetreten, in Griechenland alles anders und besser zu machen. Dabei ist die linke Regierung Tsipras in überraschend vielen Punkten noch konservativer als ihre Vorgänger, meint Spiros Moskovou.

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Tsipras mit Giannis Varoufakis Archiv 2014
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Giannis VaroufakisBild: picture-alliance/AP Photo/InTime News/G. Liakos

"Unser höchstes Ziel ist das Glück des griechischen Volkes" proklamierte am Donnerstag noch ein hohes Mitglied der Athener Linksregierung im engsten Kreis. "Wir wollen, dass die Leute abends ruhig ins Bett gehen können, ohne daran denken zu müssen, welche unbezahlbaren Rechnungen sie am nächsten Tag im Briefkasten vorfinden." Auf die Frage, wer denn die süßen Träume der Griechen finanzieren soll, reagierte der Syriza-Mann weniger eloquent. Irgendwie würden die europäischen Partner aus politischen Gründen einen Grexit nicht riskieren. Allein diese Aussagen machen noch einmal deutlich, welche Arbeitsteilung die Tsipras-Mannschaft der Welt seit vier Monaten auferlegen will: Athen ist zuständig für volksnahe Visionen, Brüssel und Berlin für deren Finanzierung.

Dramatische Lage der Staatsfinanzen

Kurz vor Fristablauf des aktuellen Hilfsprogramms Ende Juni sollte der Syriza-Regierung eigentlich einleuchten, dass ihre merkwürdige Taktik nicht aufgeht: Die Privatwirtschaft liegt am Boden, der Staat muss jeden Cent zusammenkratzen, um Gehälter und Renten zu bezahlen. Nach Sambia hat nun auch Griechenland den IWF darum gebeten, die beiden im Juni fälligen Schuldenraten zusammenzulegen. Die Lage scheint noch dramatischer als 2010, als der damalige Ministerpräsident Giorgos Papandreou vom Hafen einer malerischen Insel die Partner offiziell um die Rettung des bankrotten Landes gebeten hat. Fünf Jahre danach zieht die Tsipras-Administration ihre angeblich letzte Waffe für den schlimmsten Fall: den "Bruch mit den Partnern", falls diese nicht zu einer Milderung der Austeritätspolitik bereit sind.

Dabei haben die Griechen selbst eine ganz andere Meinung. Nach der jüngsten Umfrage wollen 77 Prozent der Befragten keinen Bruch, sondern eine Einigung mit den Partnern! Ebenfalls 77 Prozent sind für den Verbleib in der Eurozone und sogar jeder Zweite Grieche befürwortet eine Einigung unter den Bedingungen der Geldgeber. Angesichts dieser Zahlen und unabhängig von allen Drohgebärden in Athen, ist das wahrscheinlichste Szenario dann doch eine Einigung bis Mitte nächster Woche, welche die akute Geldnot Athens lindern kann. Doch damit ist aber das griechische Problem bei weitem nicht gelöst: Auch die Vorgängerregierungen haben in den zurückliegenden Jahren der Krise Einigungen mit Partnern erzielt und unterschrieben, in der Praxis aber nur einen Teil der Vereinbarungen umgesetzt - und selbst dies oft nur halbherzig.

Moskovou Spiros Kommentarbild App
Spiros Moskovou leitet die Griechische Redaktion der DW

Die Dramatik des griechischen Falls beruht auf dem zeitgleichen Auftreten mehrerer Verwerfungen: Erstens hat die Eurozone als Ganzes - also ein Raum mit einer gemeinsamen starken Währung, aber ohne gemeinsame Finanzpolitik - ein Strukturproblem, das sich im gesamten schwächelnden Süden Europas manifestiert. Zweitens haben die griechischen Regierungen der vergangenen Jahrzehnte unter den Augen ihrer europäischen Partner das Land mit einer maßlosen und undisziplinierten Finanzpolitik in die heutige Sackgasse geführt. Und drittens hat Athen schwerwiegende und über Jahre verschleppte Struktur- und Modernisierungsprobleme. Man brauchte eigentlich nicht auf die verhassten Technokraten vom IWF warten, man wusste es schon längst: Die griechischen Renten- und Versicherungssysteme sind nicht tragfähig, denn zu viele Griechen gehen zu früh in den Ruhestand. Das Land ist absolutes Schlusslicht beim Eintreiben der Mehrwertsteuer - für andere Euro-Mitglieder eine Selbstverständlichkeit.

Syriza löst keine Probleme

Eine moderne und effiziente Linke würde wenigstens diese hausgemachten Probleme anpacken und zum Wohl des Landes endlich lösen. Was aber macht zu Hause Syriza, die sich sonst anschickt, im Namen der Völker ganz Europas die Finanzpolitik der Eurozone zu verändern? Die "zukunftsorientierte" Regierung Tsipras stellt wieder Leute in den hoffnungslos aufgeblähten öffentlichen Sektor ein - getreu der Mentalität des 19. Jahrhunderts, nach der der Vater-Staat wenn möglich für alle seine Kinder sorgen muss. Die "linke" Syriza-Regierung beschließt ein Gesetz zur Regelung von Steuerschulden: Die Rückstände können in 100 Raten beglichen werden, und alle Geldbußen werden ersatzlos gestrichen. Der Haken: Nutznießer dieser Amnestie sind auch die 6.500 Steuersünder, die der Staatskasse jeweils mehr als eine Million Euro schulden. Sogar die konservative Regierung Samaras wollte die 6.500 Großschuldner von dieser günstigen Regelung ausschließen. Die neue griechische Linke aber will angeblich alle Bürger gleich behandeln. Und sie will wahrscheinlich ihre imaginäre Revolution mit Olivenzweigen gewinnen. Bloß kein Bruch mit den Oligarchen!

Porträt eines Mannes mit schwarz-grau melierten Locken
Spiros Moskovou Redakteur und Autor der DW Programs for Europe