Kommentar: Es gibt viele Gewinner
24. November 2013Der Hauptgewinner dieses Abkommens ist offenkundig das iranische Volk. Die sogenannten intelligenten Sanktionen sollten vor allem die Machthaber im Iran treffen. Die Sanktionen gegen Öl- und Gasexporte sollten Wirkung zeigen und damit die sprudelnde Geldquelle des Gottesstaates konsequent und nachhaltig zudrehen. Und die Sanktionen haben tatsächlich zum großen Teil dieses Ziel erreicht. Aber diese mit Intelligenz angereicherten Sanktionen haben weit mehr Schaden angerichtet als geplant und es war die iranische Bevölkerung, die hauptsächlich darunter schwer gelitten hat.
Mag sein, dass manch ein Iraner aus einem eher unerklärlichen Nationalstolz hinter dem merkwürdigen Atomprogramm stand. Aber wenn man Hunger hat, kann man bekanntlich nicht statt Brot das sehr ungesunde Yellowcake zu sich nehmen. Das iranische Volk wollte rasch aus der Isolation heraus, hoffte auf Besserung der wirtschaftlichen Zustände. Durch die Aussetzung oder gar Aufhebung der Sanktionen, strebte es nach politischer Öffnung und verlangte mehr Rechte und mehr Freiheit. Hassan Rohanis Wahlsieg zum Präsidenten war auch ein Produkt solcher Bedürfnisse. Die iranische Bevölkerung hat auf das Wunder von Genf gehofft.
Irans Regierung setzte auf Kurswechsel
Das iranische Regime gehört auch zu den Gewinnern. Die Sanktionen waren im Grunde genommen nichts anderes als ein Tod auf Raten. Terroranschläge, wie zuletzt in Beirut, die zunehmenden Spannungen zwischen der Regierung und ethnischen und religiösen Minderheiten, zum Beispiel im iranischen Kurden- und Balutschengebiet, die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung, die heimliche Einmischung der Nachbarstaaten in die inneren Angelegenheiten und das allerwichtigste, die Gefahr einer militärischen Intervention - all dies waren die wahren Gründe für den Kurswechsel des Regimes. So kann man sagen, dass das gemeinsame Abkommen im Atomstreit für die Machthaber im Iran eine bessere Lebensversicherung bedeutet und zur Fortdauer ihrer Herrschaft führt. Vorausgesetzt, dass Rohani seine Wahlversprechen auch in die Tat umsetzt.
Eine Einigung mit dem Iran war auch für die USA und andere westliche Länder wichtig. Die Welt kann sich keinen neuen Krieg im Mittleren und Nahen Osten leisten. Die Zukunft Afghanistans ist nach dem Rückzug ausländischer Truppen ungewiss; die Islamisten haben ihre neue Heimat in Pakistan gefunden; die Sicherheitslage im Irak ist nach wie vor prekär; der Krieg in Syrien geht weiter; der Baum des Arabischen Frühlings hatte nur bittere Früchte erzeugt. Ein neuer Krieg, in so einer Region zu wagen, kommt dem Wahnsinn gleich. Ein deutliches Nein zu dem Krieg soll die vernünftigste Triebkraft für die friedliche und diplomatische Lösung des Atomkonflikts mit dem Iran sein.
Erster Schritt ist getan
Viele haben vom Atomkonflikt aber auch vom Iran-Embargo profitiert. Billiges Öl und Gas, günstige Tauschgeschäfte, Weiterlieferung von Ersatzteilen und Handelswaren sowie der Währungstausch sind nur einige Beispiele dafür. Die Türkei, Russland, China, die Vereinigten Arabischen Emirate und sogar Afghanistan haben offenbar die Gunst der Stunde für sich genutzt. Zwar sind solche Länder nicht mit der eventuellen Normalisierung der Beziehungen zwischen dem "Großen Satan" und der "Achse des Bösen" glücklich, aber sie wollen auch keinen neuen Krieg in der Region. Selbst Israel braucht keinen Krieg, sondern nur Sicherheitsgarantien.
Das gemeinsame Abkommen ist nur ein erster Schritt zur Beilegung des Atomkonflikts mit dem Iran. Es ist wohl wahr, dass dieses Abkommen kein Allheilmittel zur Lösung aller Probleme ist. Selbstverständlich kann man sich nun nicht sorgenfrei und entspannt zurücklehnen und auf ein Happy End im Atomstreit mit dem Iran hoffen. Die Lage ist immer noch sehr brisant und die Annäherung zwischen dem Iran und dem Westen löst nicht bei jedem Begeisterung aus. Aber wer hat anderes erwartet?