1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara stoppen!

20. August 2016

Die Türkei will schon in wenigen Jahren EU-Mitglied werden. Dabei wird der Graben zwischen beiden Seiten immer tiefer. DW-Redakteur Christoph Hasselbach meint: Beendet das unwürdige Spiel.

https://p.dw.com/p/1Jlf0
Symbolbild Aufhebung Visumspflicht für türkische Staatsbürger (Foto: Getty Images/C. McGrath)
Bild: Getty Images/C. McGrath

Man könnte es für eine Lachnummer halten, wären die Umstände nicht so ernst: Der türkische EU-Botschafter Selim Yenel sagt in der Zeitung "Die Welt", sein Land wolle bis 2023 Vollmitglied der EU sein, passend zum 100. Geburtstag der türkischen Republik. Welche Türkei soll das sein?

Staatsgründer Kemal Atatürk hatte 1923 den Laizismus eingeführt. Der heutige Präsident Recep Erdogan ist dabei, die Religion über alles zu stellen. Die heutige Türkei ist ein Land der politischen Säuberungen, der Unterdrückung der Medien und nach Einschätzung des deutschen Innenministeriums ein Land, das gemeinsame Sache mit Islamisten und Terroristen macht. Dieses Land will gleichberechtigter Partner in Brüssel sein?

Schröder, Blair und Chirac waren für den Beitritt

Doch so abwegig die Forderung heute klingt, sie war es nicht immer. Die Regierungschefs der drei wichtigsten EU-Länder, der Deutsche Gerhard Schröder, der Brite Tony Blair und der Franzose Jaques Chirac (ein Konservativer!), traten um die Jahrtausendwende jedenfalls engagiert für den Beitritt ein. Und 2005 gaben alle der damals 25 EU-Regierungen grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Damals hieß es ausdrücklich: "Ziel der Verhandlungen ist die Mitgliedschaft".

Allerdings stand auch in dem Text, die EU solle einem Beitritt nur zustimmen, wenn sie dazu wirtschaftlich und politisch in der Lage wäre.

Christoph Hasselbach (Foto: "DW/M.Müller)
DW-Redakteur Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Das ist heute weniger denn je der Fall. Und an einem der wichtigsten Gegenargumente hat sich ebenfalls nichts geändert: Ein Volk von fast 80 Millionen Menschen, das in wenigen Jahren das bisher bevölkerungsreichste, nämlich Deutschland, überholt haben wird, würde freie Reise- und Niederlassungsfreiheit in der ganzen EU haben. Macht man sich allein diesen Punkt vor dem Hintergrund der aufgeheizten Migrationsdebatte in Europa heute klar, merkt man, wie absurd der Anspruch auf eine Vollmitgliedschaft ist. Jede europäische Regierung, die heute das forderte, was Schröder, Blair oder Chirac vor gut zehn Jahren forderten, wäre politisch am Ende.

Das heißt, die Türkei erfüllt auch nicht annähernd die Beitrittsbedingungen, Europa will die Türkei nicht, und selbst Erdogan hat angedeutet, dass ihm eine Mitgliedschaft gar nicht so wichtig ist.

Europa fühlt sich verpflichtet

Trotzdem gehen die Verhandlungen weiter, laut dem Flüchtlingsabkommen sollen sie sogar beschleunigt werden.

Was also soll diese Farce? Die Antwort ist einfach: Die Türkei kann die EU damit wunderbar unter Druck setzen. Die Europäer haben ein schlechtes Gewissen, weil sie der Türkei den Beitritt in einer völlig anderen Zeit in Aussicht gestellt haben und weil sie sich heutzutage wegen des Flüchtlingsabkommens gegenüber Ankara verpflichtet fühlen.

Doch das kann kein Grund sein. Die EU sollte die Beitrittsverhandlungen nicht nur aussetzen, sondern ganz stoppen. Denn eine Vollmitgliedschaft käme selbst dann nicht infrage, wenn die Türkei wider Erwarten alle Bedingungen erfüllen sollte. Enge Beziehungen ja, auf allen Gebieten, es geht nicht um alles oder nichts. Aber die Ansprüche, die sich aus einer Vollmitgliedschaft ergäben, würden die Europäische Union sofort sprengen. Allein die Aussicht fördert nur den politischen Extremismus in den EU-Ländern. Deshalb gilt es, endlich reinen Tisch zu machen und das unwürdige Spiel zu beenden.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik