Kommentar: EU muss russische Herausforderung annehmen
28. Januar 2014Es war einer der kürzeren EU-Russland-Gipfel: Ein etwas mehr als dreistündiger Austausch auf allgemeiner Ebene ohne größere greifbare Ergebnisse. Dass die Beziehungen zwischen Europäischer Union und Russland momentan nicht mehr hergeben, war schon im Vorfeld bekannt gewesen: EU-Ratspräsident Herman van Rompuy hatte angekündigt, sich "offen über Wesen und Richtung der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland" auszutauschen.
Veralteter Blick aus Brüssel
Die Ursache für diese Flaute im europäisch-russischen Verhältnis liegt weniger in den Differenzen über Visabestimmungen oder Gebühren für Flüge über Sibirien. Und auch die brisante Entwicklung in der Ukraine ist weniger der Grund für die Spannungen, als vielmehr die Folge eines tieferliegenden Problems zwischen der EU und Russland.
Denn Brüssel schaut mit einer veralteten Perspektive auf Moskau: Aus diesem Blickwinkel würde Russland seine eigene Modernisierung am Modell Europa orientieren und sich somit der EU durch die Übernahme europäischer Prinzipien annähern. Vermutlich war und ist die EU zu intensiv mit der eigenen Finanz- und Schuldenkrise beschäftigt, um zu erkennen, dass der russische Präsident Putin spätestens seit dem Beginn seiner dritten Amtszeit eine neue außenpolitische Strategie verfolgt.
Putin positioniert Russland als eine Großmacht, die sich in einem umfassenden geopolitischen Wettbewerb gerade auch mit der EU versteht. Auch Putins innenpolitischer Kurs ist in diesem Kontext zu sehen. Denn nachdem die EU jahrelang Russland und Putin an europäische Werte erinnert hatte, dreht Putin mit seiner erzkonservativen Auslegung traditioneller Moralvorstellungen den Spieß um: Demnach habe Europa mit seiner angeblich zu großen Liberalität und Toleranz für sexuelle Minderheiten christlich-europäische Werte verraten.
Russlands Eurasische Union versus EU
Um jedoch gegenüber den starken Macht- und Wirtschaftszentren USA, EU und China künftig bestehen zu können, hat sich die russische Außenpolitik unter Putin in den vergangenen Jahren verstärkt dem ehemaligen post-sowjetischen Raum zugewandt. Das Ziel ist die Schaffung einer von Russland ausgehenden Eurasischen Union, die als Integrationsmodell im Wettbewerb zur EU steht.
Genau deshalb ist die Lage in der Ukraine im vergangenen Jahr so brisant geworden, denn im zweitgrößten Flächenstaat Europas treffen die beiden Integrationskreise aufeinander: In der Ukraine entscheidet sich die Zukunft der von Putin voran getriebenen Eurasischen Union. Es war eine blauäugige und naive Sicht in Brüssel, zu glauben, dass Putin nicht alle Hebel in Bewegung setzen würde, um das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU zu stoppen. Und es war fahrlässig von der EU, in einem autoritär regierenden ukrainischen Präsidenten Janukowitsch einen verlässlichen Partner für ein solches Abkommen zu sehen, ohne den Gesamtkontext mit Russland zu betrachten.
Pragmatismus statt Konfrontation
Das Ergebnis ist nicht nur eine gescheiterte Ukrainepolitik der EU, sondern eben auch ein Verhältnis zu Russland mit zunehmenden Spannungen und Missverständnissen, die dem proklamierten Bild einer "strategischen Partnerschaft" immer mehr widersprechen. Mittlerweile nehmen sogar die Stimmen zu, die eine konfrontative Gangart gegen Russland fordern - wegen der russischen Politik in Syrien, der Ukraine oder in anderen Themenfeldern.
Doch bevor ein neuer Kalter Krieg heraufbeschworen wird, der weitreichende und ungeahnte negative Folgen für Europa und Russland haben dürfte, sollte die EU eine neue pragmatische Außenpolitik gegenüber dem östlichen Nachbarn entwickeln. Die EU muss die strategischen Ziele für den eurasischen Raum neu definieren und die Herausforderung Russlands mit der Eurasischen Union annehmen. Eine Politik, die im Wettbewerb mit Russlands Eurasischer Union auch die Chancen der Zusammenarbeit mit Russland nutzt, wird letztendlich erfolgreicher sein als eine aus Enttäuschung entstandene Konfrontationsstrategie.