1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Frauen müssen frei entscheiden dürfen

DW-Kommentarbild Marina Strauß App PROVISORISCH
Marina Strauß
19. September 2019

Auch künftig zahlen Krankenkassen in Deutschland die Kosten für einen Bluttest vor der Geburt nur in Risikofällen. Das Wissen über eine mögliche Behinderung bleibt an den Geldbeutel gebunden, kritisiert Marina Strauß.

https://p.dw.com/p/3Ptfo
Deutschland Berlin | Demonstration gegen Bluttests für Schwangere auf Down-Syndrom
Proteste in Berlin gegen Bluttests für Schwangere Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Als junge Frau bin ich mir sicher: Die allermeisten Frauen - und auch ihre Partner -, die ein Kind erwarten, wollen wissen, was nach der Geburt auf sie zukommt. Ob das Kind, auf das sie sich freuen, das neun Monate lang im Bauch heranwächst, dessen Tritte sie spüren, gesund sein wird. Oder ob es mit einer Behinderung geboren wird.

Die Diagnose Trisomie ist mit Sicherheit erst einmal ein Schock. Ein Schock, der werdenden Eltern in aller ihrer Vorfreude auch die Chance bietet, sich damit auseinanderzusetzen, wie ihr Leben in Zukunft aussehen könnte. Sich beraten zu lassen und sich dann auf die eine oder andere Art zu entscheiden. Aus freien Stücken.

In Deutschland hat der dafür zuständige Ausschuss aus Ärzten, Kliniken und Krankenkassen beschlossen, dass die Kassen in Zukunft einen pränatalen Bluttest bezahlen müssen. Aber nur für Frauen, die sich vorher intensiv von ihrem Arzt beraten lassen - und denen eine Risiko-Schwangerschaft attestiert wird.

Frauen, die einfach nur schwanger sind, müssen also weiter zahlen für einen Bluttest, der mit hoher Wahrscheinlichkeit feststellt, ob ein Kind mit einer Form von Trisomie auf die Welt kommt. Zum Beispiel mit Trisomie 21. Oder auch mit Trisomie 18 - einer Genom-Mutation, die oft dazu führt, dass Kinder noch im Bauch sterben oder kurz nach der Geburt.

Kein Risiko für das ungeborene Kind

Je nach Umfang und Anbieter kostet solch ein Bluttest zwischen 130 und gut 500 Euro. Eine Gefahr für das ungeborene Kind besteht nicht, im Gegensatz zu den für Frauen kostenlosen Tests, bei denen ein Arzt mit der Nadel die Plazenta oder Fruchtblase der Frau punktiert, was in manchen Fällen auch zu einer Fehlgeburt führen kann.

DW-Kommentarfoto von Marina Strauß
DW-Redakteurin Marina StraußBild: DW/K. Kaminski

Dass es überhaupt eine Frage ist, ob ein weniger riskanter Test bezahlt wird oder nicht, ist nicht nur ein Unding, sondern führt komplett an der eigentlich wichtigen Debatte vorbei, die Deutschland führen sollte.

Aktivistinnen wie Natalie Dedreux, die selbst das Down-Syndrom hat, kämpfen dafür, dass pränatale Tests generell verboten werden. Sie sagt, sie habe Angst davor, dass Menschen wie sie irgendwann nicht mehr existierten, dass sie schon aussortiert würden, bevor sie überhaupt das Licht der Welt erblickten. Dedreux betonte kürzlich, es gehe darum, dass die deutsche Gesellschaft, Menschen, die eine Behinderung haben, nicht einfach wegschiebe, sondern sie mitmachen lasse.

Gleiche Rechte für Menschen mit Behinderung in Deutschland

Dedreux‘ Angst und damit ihre Sicht auf die Bluttests ist verständlich und ernstzunehmen. Trotzdem darf diese Angst nicht dazu führen, dass Krankenkassen solche Tests nicht für alle Frauen bezahlen. Diese Angst - und der Wunsch genauso viel zu zählen, wie Menschen ohne Behinderung - sollte vielmehr eine Debatte anstoßen. Darüber, dass Frauen, die sich entscheiden, ein Kind mit Trisomie auf die Welt zu bringen, auf jede erdenkliche Weise unterstützt werden müssen, dass niemand - kein Arzt, kein gesellschaftliche Norm - sie zu einer Entscheidung drängen darf.

Und auch darüber, dass Menschen, die nicht einer bestimmten Norm entsprechen, in Deutschland genauso viel Wertschätzung, Respekt und Unterstützung erfahren und gefördert werden wie Menschen, die in ein bestimmtes Schema passen. Dass Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung geschaffen werden, für die sie gerecht bezahlt werden. Und dass ein reiches Land wie Deutschland betroffene Familien nicht alleine lässt.

Die Akzeptanz von Menschen mit Behinderung und die Diskussion darüber, wie weit genetische Tests generell gehen dürfen, sind eine Sache. Die andere ist, dass jede Frau, die das will, auch den Anspruch darauf haben sollte, einen Test zu machen, der zugelassen ist und ohnehin vielfach durchgeführt wird. Und nicht nur dann, wenn sie ihn sich finanziell leisten kann.