Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Kapitulation des Deutschen Reiches. Doch das diesjährige Gedenken an den Sieg über Hitler-Deutschland findet in einer für Europa und Russland stark belasteten Zeit statt.
Kampf gegen den Faschismus - damals und heute?
Denn der Osten der Ukraine befindet sich durch eine aggressive Destabilisierungspolitik des Kremls in einem amorphen Zustand zwischen Krieg und Frieden. Und durch die Annexion der Krim hat Russland das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen, der Achtung der territorialen Integrität von Staaten sowie des Verzichts auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt missachtet. Die im Kalten Krieg entstandene und mit der Pariser Charta von 1990 kodifizierte europäische Friedensordnung ist durch die russische Politik im Kern in Frage gestellt worden.
Mehr noch: Der Kreml rechtfertigt sein Vorgehen in der Ukraine mit dem vermeintlichen Kampf gegen eine "faschistische Putsch-Regierung" in Kiew. Seit Monaten hämmern die vom Kreml gesteuerten Medien der russischen Bevölkerung und auch einem ausländischen Publikum ein, dass nach dem Sturz des autoritären und korrupten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch angeblich "faschistische Politiker in Verbindung mit US-amerikanischen Geheimdiensten" die Herrschaft im Nachbarland übernommen hätten.
Historischer Sieg mit großer Symbolkraft
Da kommt der Kreml-Führung der 70. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland zur rechten Zeit. Der Sieg über Deutschland im Zweiten Weltkrieg ist schon in sowjetischen Zeiten genutzt worden, um trotz stalinistischer Verbrechen und kommunistischer Diktatur die UdSSR auf der Seite der moralischen Sieger zu stellen. Niemand kann und will die bedeutende Rolle der Sowjetunion beim Sieg über Hitler bestreiten. Eine undifferenzierte Sicht auf die Epoche des Zweiten Weltkrieges verhindert jedoch eine kritische Reflexion der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts.
Doch auch in post-sowjetischer Zeit ist in Russland die enorme Symbolkraft des Sieges vom Kreml politisch instrumentalisiert worden. In diesem Jahr zeigt sich dies um so mehr: Die russische Führung versucht, mit dem Sieg über das faschistische Deutschland vor 70 Jahren auch die aktuelle russische Einmischung in der Ukraine und die anti-westliche Außenpolitik zu legitimieren. Die Parade auf dem Roten Platz am 9. Mai wird ein Höhepunkt dieser nach außen konfrontativ aufgeladenen Gedenkstimmung sein.
Es ist daher vollkommen richtig, dass in diesem Jahr die wichtigsten westlichen Politiker dieser Veranstaltung fernbleiben und damit unterstreichen, dass sich Russland durch seine Ukraine-Politik international isoliert hat. Dass einige ausländische Staatsgäste sowie Militäreinheiten aus China, Indien, der Mongolei und einigen anderen Ländern an der Parade teilnehmen, entkräftet dieses Urteil nicht. Der Kontrast zu den Feiern vor fünf Jahren, zum 65. Jahrestag, ist groß: Damals waren nicht nur die führenden Staatsmänner und -frauen in Moskau vertreten. Es nahmen sogar amerikanische und polnische Soldaten an der Militärparade auf dem Roten Platz teil - im heutigen politischen Klima undenkbar.
Es ist daher zutiefst bedauerlich, dass nun der 70. Jahrestag des Sieges über den Nationalsozialismus in Russland instrumentalisiert und missbraucht wird, um eine gefährliche und aggressive russische Außenpolitik gegen das ukrainische Nachbarland zu legitimieren.
Gemeinsame Erinnerung an das Leid der Opfer
Dennoch ist es ein klares deutsches Anliegen, am 70. Jahrestag des Kriegsendes deutlich zu machen, dass sich die Deutschen ihrer historischen Schuld und der Verantwortung für millionenfach erzeugtes Unrecht bewusst sind. Deshalb ist die Teilnahme des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier am 7. Mai an der Gedenkfeier in Wolgograd, dem früheren Stalingrad, ein richtiges und wichtiges Zeichen für die Versöhnung zwischen Deutschen und Russen. Für die deutsche Gesellschaft steht der Name der Stadt Stalingrad für die von Deutschen an Russen verübten Verbrechen. Dass der deutsche Außenminister Steinmeier gerade dort die Gedenkfeiern besucht, entspricht der Überzeugung des modernen Deutschlands, dass Krieg und Konfrontation keine Lösung für politische Differenzen sein dürfen.
Im gleichen Sinne wird Bundeskanzlerin Angela Merkel am 10. Mai in Moskau gemeinsam mit dem russischen Präsident Wladimir Putin einen Kranz am Mahnmal des Unbekannten Soldaten niederlegen. Beide Besuche sind wichtige Zeichen an die russische Bevölkerung, dass Deutschland und der Westen keine Konfrontation mit dem russischen Volk suchen.
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