Über Joe Bidens Vizepräsidenten-Kandidatin wurde in den letzten Wochen so hitzig diskutiert wie zuletzt über die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten selbst. Britische Buchmacher, die sonst Wetten auf royale Babynamen annehmen, hätten am leidenschaftlichen Rätselraten ihre helle Freude gehabt. Mit Senatorin Kamala Harris haben sich Biden und seine Berater jetzt für eine Frau entschieden, die von Anfang an zu den heißen Favoritinnen zählte.
Streitbare Kandidatin
Harris ist aber auch eine riskante Wahl. Die Senatorin aus Kalifornien, die im Dezember 2019 ihre eigene Präsidentschaftskandidatur beendete, fiel während der Vorwahldebatten vor allem mit ihren scharfen Angriffen gegen Biden auf. Ihre Kritik: Biden habe sich nicht genügend von ehemaligen Senatskollegen distanziert, die einst die Rassentrennung in den USA unterstützt hätten.
Dass eine Vorwahl-Gegnerin zum "running mate" wird, ist nicht allzu ungewöhnlich. Aber: Harris bietet politischen Gegnern durch ihre bisherige Karriere viel Angriffsfläche. Während ihrer Zeit als Kaliforniens Generalstaatsanwältin ging sie laut ihrer Kritiker zu rabiat und nicht immer gerecht im Kampf gegen das Verbrechen vor. Schon während ihrer eigenen Präsidentschaftskandidatur musste sie sich vorhalten lassen, dass ihr Büro einige Fälle, in denen Schwarze durch Schüsse der Polizei zu Tode kamen, nicht genügend untersucht habe.
Das macht sie zu einem Risiko für Biden. Schließlich wird sich nicht nur Donald Trumps Wahlkampfteam auf Harris' Vergangenheit stürzen. Auch liberale Demokraten am linken Ende des Parteispektrums, bei denen Biden sowieso schon einen schweren Stand hat, sehen es nicht gern, dass Harris im Nachhinein versuchte, sich als "progressive Juristin" darzustellen.
Historische Entscheidung
Trotzdem: Die Entscheidung für Harris war ein kluger Schachzug von Biden. Harris ist eine charismatische Rednerin, die ein Publikum mitreißen und bei der demokratischen Wählerschaft für dringend benötigte Begeisterung sorgen kann. Und sie ist die erste schwarze Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin einer der beiden großen Parteien - und die erste mit indischen Wurzeln. Ein historischer Moment für ein Land, in dem aktuell Rassismus und die systematische Benachteiligung von schwarzen US-Amerikanern zu den beherrschenden Themen gehören. Biden hofft natürlich auch, so eine noch breitere Wählerschaft für sich zu gewinnen.
Es gilt als wahrscheinlich, dass Biden aufgrund seines hohen Alters nur eine Amtszeit im Weißen Haus regieren und dann den Weg für seine Vizepräsidentin freimachen würde. Kamala Harris könnte dann die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Jetzt geht es für das Team Biden-Harris erstmal darum, die Wahl im November zu gewinnen.