Kommentar: Kein echter Kniefall
26. April 2013Es ist bemerkenswert, dass sich gerade Tomislav Nikolić im Interview mit dem bosnischen Fernsehen öffentlich zu der Schuld bekennt, die serbische Kriegsverbrecher in diesem schrecklichsten aller Massaker gegen die bosnischen Muslime verübt haben. Denn im Gegensatz zu seinem pro-europäisch orientierten Amtsvorgänger Boris Tadic, der sich bereits ähnlich geäußert hatte, galt Nikolić als Ultranationalist, von dem Europa solche Gesten nicht erwartet hat. Nikolić hatte sich noch vor einigen Jahren öffentlich gegen die Auslieferung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher Mladić und Karadžić ausgesprochen und das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag als parteiisch kritisiert. Dass gerade er als Vertreter des rechten politischen Lagers solch eine Entschuldigung ausspricht, ist auch ein wichtiges innenpolitisches Signal, das sich gegen die nationalistischen Beharrungskräfte in Serbien richtet. Kein Wunder, dass diese mit Kritik an Nikolićs Äußerung nicht sparen.
Fehlende Echtheit
Aber welche Wirkung löst seine Entschuldigung bei den Opfern aus? Die fällt zu Recht reserviert aus. Die Opferorganisation "Die Mütter von Srebrenica" kritisiert, dass Nikolić nicht über die Lippen kommt, dass es sich bei dem Massaker in Srebrenica um einen Genozid handelt. Es müsse erst bewiesen werden, hatte der serbische Präsident eingeschränkt und relativierend hinzugefügt, dass alle Konfliktparteien im ehemaligen Jugoslawien Verbrechen verübt hätten, die den Charakter des Völkermordes hätten. Es sind solch relativierende Sätze, die Zweifel an seiner Aufrichtigkeit säen.
Diese Zweifel werden noch durch einen anderen Aspekt vertieft: Als er davon spricht, dass er "auf den Knien um Verzeihung für Serbien bitte" sitzt Nikolić lässig zurückgelehnt im Sessel. Aufrichtige Reue sieht anders aus. Der Kniefall des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt, den er zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg in Warschau überraschend vor dem Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus vollzogen hat, war eine überzeugende Geste, die berührt hat. Diese stumme Demutsgeste war authentisch und hat deshalb Geschichte geschrieben.
Es braucht mehr als Worte
Nikolićs Worte sind vor allem im Kontext seiner Taktik gegenüber der Europäischen Union zu verstehen. Wohlgefallen gegenüber Brüssel ist jetzt, da die EU-Kommission im Anschluss an das Abkommen zwischen Serbien mit der ehemaligen Provinz Kosovo die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfohlen hat, das oberste Ziel. Unter dem Druck der massivsten Wirtschaftskrise seit Jahren, die durch die europäische Finanzkrise noch verschärft wird, ist die EU-Beitrittsperspektive für die Belgrader Regierung offenbar wichtiger als das Festhalten an nationalen Empfindlichkeiten. Zu ihnen gehört unter anderem die weit verbreitete Wahrnehmung, dass die Serben das eigentliche Opfer der Jugoslawienkriege sind und dass das UN-Kriegsverbrechertribunal einseitig gegen Serbien eingestellt ist.
Es braucht mehr als Worte, um diese weit verbreitete Haltung zu verändern und damit Versöhnung möglich zu machen. Notwendig ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte und der eigenen Verantwortung in den Jugoslawien-Kriegen. Notwendig ist der Austausch von jungen Menschen, die bereit sind, die Perspektive zu wechseln. Erst wenn auf die Worte Taten folgen, die zeigen, dass Versöhnung wirklich gewollt ist, werden die bosnischen Opfer des Krieges die Entschuldigung annehmen können.