Die sechs Außenminister Kern-Europas wollten nach ihrem nachdenklichen Spaziergang am Tegeler See in Berlin besonders kernig sein und forderten Großbritannien zu einer schnellen Scheidung auf. Besonders Frankreich drängelt, es müsse jetzt alles sehr rasch gehen. Auch die EU-Kommission in Brüssel scharrt schon mit den Hufen.
Zwei Tage nach dem katastrophalen Brexit-Votum sitzt der Schock noch tief und man fragt sich: Warum die Eile? Es wird sowieso mindestens zwei Jahre dauern, die komplexen EU-Beziehungen zu Großbritannien aufzudröseln, und noch länger, eine Nachfolgeregelung für Freihandel und Binnenmarkt zu finden. Da kommt es auf drei Monate auch nicht mehr an. Besser wäre, von Oktober an mit einer hoffentlich handlungsfähigen Regierung in London zu verhandeln, als sich jetzt mit der lahmen Ente David Cameron abzugeben.
Ohne die Briten geht es auch
Noch-Premier Cameron wird beim Gipfeltreffen in Brüssel am Dienstag bestimmt gut erklären können, warum es drei Monate braucht, um seinen Nachfolger in der konservativen Partei zu finden. Wenn die 27 EU-Staaten ein Zeichen setzen wollen, können sie bereits auf dem Gipfel beschließen, eine Verhandlungsposition und ein Mandat für die EU-Kommission vorzubereiten. Dazu braucht man noch kein formelles Verfahren nach Artikel 50 des Lissabonner Vertrages, sondern politischen Willen und eine eindeutige Haltung.
Die Bundeskanzlerin hat die alten Wilden vom Tegeler See in Berlin auch schon gebremst und ihnen bedeutet, es dürfe zwar nicht ewig dauern, aber auf ein paar Wochen käme es nun auch nicht an. Es darf jetzt nicht darum gehen, sich an den Briten zu rächen oder sie unter Druck zu setzen. Man muss ihnen nur klar machen: Ihr seid draußen - lavieren, nachverhandeln, zweites Referendum und sonstigen Hokuspokus wird es nicht geben. Out is out.
Die Aufregung um die Termine ist wirklich ein Nebenkriegsschauplatz, viel wichtiger sind die inhaltlichen Antworten. Wie soll die EU sich nach dem Brexit-Fiasko entwickeln? Flexibler soll sie werden, haben Deutschland und Frankreich als wichtiger gewordenes Tandem in der EU geschrieben. Die unterschiedlichen Erwartungen und Haltungen in den kunterbunt verschiedenen Mitgliedsstaaten sollen aufgenommen und bedient werden. Das ist ein richtiger Ansatz, nur: Diesen umzusetzen, das hat die EU schon in den vergangenen Jahren immer mal wieder versucht. Bislang ist sie hauptsächlich an der Uneinigkeit der Mitglieder selbst gescheitert. Hoffentlich wird das nach dem britischen Schock nun besser.
EU muss schnell Ergebnisse liefern
Die Instrumente sind dafür eigentlich im Lissabonner Vertrag alle vorgesehen. Zum Beispiel ist eine Zusammenarbeit von unterschiedlichen Gruppen von Staaten bei bestimmten Themen möglich. Nicht alle müssen alles mitmachen. Von einem Diktat, von dem gerne auch in Polen oder Ungarn oder linken und rechten Populisten sonstwo gefaselt wird, kann überhaupt keine Rede sein. Unter Flexiblität werden verschiedene Mitgliedsstaaten sehr unterschiedliche Dinge verstehen. Die Süd-Länder wollen zum Beispiel öffentliche Ausgaben auf Pump flexibel erhöhen, um ihre Konjunktur anzukurbeln. Davon sind die Nord-Länder überhaupt nicht begeistert.
Die erste Reaktion auf den britischen Paukenschlag fiel jedenfalls nicht besonders vielversprechend aus, was die Einigkeit angeht. Statt mit einer Stimme zu sprechen, haben alle drei großen EU-Institutionen vor sich hin gewurschtelt. Die Mitgliedsstaaten sind in verschiedenen Gruppen unterwegs. Mal die sechs Gründerstaaten (Benelux, Italien, Frankreich, Deutschland), mal Deutschland, Frankreich, Italien als Mini-Gipfel, mal die Visegradstaaten und erst am Dienstag dann alle 27 + 1 Mitgliedsstaaten in Brüssel. Was soll dieses Durcheinander? Vielleicht gab es wirklich keinen Plan B für den Super-Gau in der EU.
Wo ein Wille ist...
Dann wird es jetzt höchste Zeit, dass die restlichen Mitgliedsstaaten sich gemeinsam sortieren und schnell Antworten präsentieren. Das sollte ohne aufwändige Konvente, Klausuren und schier unmögliche Vertragsänderungen passieren. Konkrete Politik, konkretes Handeln ist gefragt. Wie wäre es, wenn man - wie ursprünglich im Lissabon-Vertrag vorgesehen - die EU-Kommission in Brüssel radikal verkleinerte und auch sonst die vielen EU-Behörden und Institutionen auf den Prüfstand stellte?
Nur ein kleines Beispiel: Haben Sie schon mal etwas vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) gehört? Nein? Kein Wunder. Der hat auch nichts zu melden, produziert Berge von Papier und beschäftigt Hunderte Menschen für 130 Millionen Euro im Jahr. EWSA besteht seit 1957, sollte schon mehrfach wegreformiert werden. Es ist nie gelungen.
Es muss jetzt vieles anders werden.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!