Wer zahlt wirklich für die Atommüll-Entsorgung?
Dass Gutgläubigkeit teuer werden kann, diese Erfahrung macht Deutschlands Politik jetzt in einem besonders drastischen Fall. Jahrelang versprachen die vier großen deutschen Stromkonzerne, dass das Geld für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle vorhanden sei. Rund 36 Milliarden Euro stünden bei E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall bereit, wenn der Gesetzgeber es für den Bau eines atomaren Endlagers brauche, hieß es vollmundig.
Rückstellungen sind keine Reserven
Ein teurer Trugschluss, wie jetzt immer deutlicher wird. Nicht zuletzt, weil der Chef des Energieversorgers RWE, Peter Terium, im Nebensatz eines Fernsehinterviews verlauten ließ, dass es mit den finanziellen Rückstellungen in seinem Hause nicht weit her ist. Denn die nötigen Milliarden für den Atommüll liegen nicht etwa auf der hohen Kante, sondern es handelt sich dabei um Gelder, die der Konzern erst noch erwirtschaften muss. Es ist also kein reales Geld, sondern lediglich in Schuldscheinen hinterlegt. Ergo: RWE könne seinen Anteil an den Endlager-Schulden nur dann begleichen, wenn der Konzern mit seinen alten Braunkohle-Meilern weiter satte Gewinne einfahre, sagt Terium.
Das Problem ist jetzt: Diese satten Gewinne darf es in Zukunft eigentlich gar nicht mehr geben. Und nach aktueller Lage, gibt es sie auch nicht mehr. Denn macht Deutschland ernst mit seiner Klimapolitik und mit seinem Ausbau von Wind- und Sonnenergie, dann schrumpft das klimaschädliche Braun- und Steinkohlegeschäft ganz automatisch. Dass damit aber auch die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass die deutschen Energieversorger wirklich für die Suche, den Bau und den Betrieb eines atomaren Endlagers finanziell geradestehen, das dürfte viele Politiker hierzulande kalt erwischen. Und damit nicht genug: Die endgültige Atommüll-Rechnung wird viel höher ausfallen als bislang befürchtet. So geht die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Endlagerkommission bereits heute, 15 Jahre vor dem Baubeginn eines Endlagers, davon aus, dass das Ganze mindestens 50 bis 70 Milliarden Euro verschlingen dürfte. Also zweimal so viel wie die Energiekonzerne auf dem Papier zurückgestellt haben.
Bisherige Verträge mangelhaft
Dass Journalisten an dieser Stelle gerne Alarm schlagen, dürfte nicht verwundern. Dass aber auch nüchterne Verwaltungsangestellte laut aufschreien, wenn sie das hören, das mag vielleicht auch jene überzeugen, die des Alarmismus überdrüssig sind. So geschehen bei Deutschlands oberster Finanzaufsichtsbehörde, dem Bundesrechnungshof. Der warnte Anfang des Jahres vor einem "erheblichen Kostenrisiko", das bei der Endlagerung auf den Staat und damit letztlich auf die Steuerzahler zurollt.
Nicht unwahrscheinlich, dass die Rechnungsprüfer auf zwei Entwicklungen geschaut haben, die beide nichts Gutes verheißen. Erstens sind Pleiten der Energiekonzerne inzwischen nicht mehr undenkbar, sondern eine reale Gefahr. Und dann preschen auch noch Energiekonzerne wie E.ON vor und spalten ihr Geschäft mit Kernkraftwerken in ein neues Unternehmen ab. Nicht nur eingeschworene Atomkraftgegner vermuten hier mehr als grünen Enthusiasmus, eher schon knallhartes finanzielles Kalkül. Denn mit der Aufspaltung lässt sich auch die finanzielle Verantwortung abspalten, eine Befürchtung, die auch ein vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten nährt.
Spaltet sich ein Konzern wie im Falle E.ON auf, erlischt nach fünf Jahren die gesamtschuldnerische Haftung, schreiben die Autoren. Ohne Rechtsdeutsch heißt das: Lässt E.ON in der Zukunft sein neues Kernenergieunternehmen pleitegehen, schaut der Staat finanziell in die Röhre. Das Ergebnis: Im schlechtesten Fall, und der ist hier nicht der unwahrscheinlichste, bleibt der Staat, und damit wir alle, ganz alleine auf den Endlagerkosten sitzen. Die Eurokrise und die Rettung der Großbanken in Europa lassen grüßen!
Rücklagen, die auch eine Pleite überleben
Doch diese Entwicklung ist keineswegs unausweichlich und schon gar kein Schicksal. Einzige Bedingung ist jedoch, dass Bundesregierung und Bundestag handeln. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Dabei geht es darum, den Schaden aus den Luftbuchungen der Energiekonzerne möglichst klein zu halten. Ein Blick auf das Nachbarland Schweiz kann zeigen, wie auch der deutsche Steuerzahler bei der Atommüllentsorgung möglichst kostengünstig davonkommt. Auch Deutschland sollte - wie im Schweizer Modell - einen staatlich kontrollierten Atommüll-Fonds ins Leben rufen. Schrittweise würde dieser von den Unternehmen mit Geld aufgefüllt, so dass reale Reserven entstehen. Je mehr Geld fließt, desto kleiner wird das Risiko für den Steuerzahler, später alleine zu haften. Je schneller das Geld kommt, desto größer die Chance, dass keine Unternehmenspleite dazwischenkommt. Statt Gutgläubigkeit braucht es jetzt also juristische Klarheit. Denn nur die verhindert, dass wir uns bei der Finanzierung der Atommüll-Altlasten weiter auf luftleeren Finanzpolstern ausruhen.
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