Aus heiterem Himmel kamen sie nicht - die Bundespolizisten, die im Morgengrauen Luíz Inácio da Silva festnahmen. Seit Monaten heißt es, der Ex-Präsident sei in die "Operation Waschstraße" - ein milliardenschweres Geldwäsche-System im halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras - verstrickt. Seine Festnahme ist dennoch ein Paukenschlag, weil sie signalisiert, dass auch der - nach wie vor sehr beliebte - "Lula" nicht über dem Gesetz steht.
Das empfindet in Brasilien kaum jemand als selbstverständlich. Denn die Liste von Politikern, die beschuldigt, aber nie angeklagt, angeklagt, aber nie verurteilt und verurteilt, aber nie bestraft wurden, ist lang.
Schier grenzenlose Immunität
Die beiden Prominentesten von ihnen sind noch heute in Amt und Würden: Der 1992 seines Präsidenten-Amtes enthobene Fernando Collor de Mello vertritt seit 2007 den Bundesstaat Alagoas im brasilianischen Senat.
Und Paulo Maluf war Gouverneur des Bundesstaates São Paulo und zweimal Bürgermeister der gleichnamigen Metropole. Ihm werden seit Jahrzehnten unter anderem Korruption, Gründung einer kriminellen Vereinigung und Untreue angelastet. Gegen ihn liegen mehrere internationale Haftbefehle vor. Zuletzt verurteilte ihn 2015 ein französisches Gericht wegen Geldwäsche.
Ins brasilianische Portugiesisch ist das Verb "malufar" als Synonym für die Veruntreuung öffentlicher Gelder eingegangen. Dennoch sitzt Maluf in seiner vierten Amtszeit als Abgeordneter im brasilianischen Parlament.
Gesetz gegen korrupte Politiker
Warum solche Menschen immer wieder in politische Ämter gewählt werden, ist Sache ihrer Wähler. Wie es aber möglich ist, dass sie überhaupt immer wieder kandidieren können, statt im Gefängnis zu sitzen, ist eine Frage, die man der brasilianischen Justiz stellen muss.
Spätestens seit 2010 gäbe es eine gesetzliche Handhabe: Damals unterzeichnete Präsident Lula da Silva das "Weiße Weste"-Gesetz, das vorbestrafte Bürger für acht Jahre von politischen Ämtern ausschließt. Zumindest theoretisch - denn damit das Gesetz anwendbar wird, bedarf es tüchtiger, unabhängiger Staatsanwälte und Richter.
Verdacht der Parteinahme
Doch davon gibt es bisher zu wenige, meinen viele Brasilianer - zumal unter den Anhängern von Lula da Silva, seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff und ihrer Arbeiterpartei PT. Sie hegen massive Vorbehalte gegen die Justiz: Warum wurden hohe Parteifunktionäre der linken PT im Zuge des "Mensalão"-Skandals zu Gefängnisstrafen verurteilt, während ein - wesentlich kleineres, aber vom Prinzip her ähnliches - Korruptionssystem der sozialdemokratischen PSDB im Bundesstaat Minas Gerais nicht weiter untersucht wurde?
Gegnern der PT hingegen erschließt sich bis heute nicht, warum Lula da Silva dafür nie belangt wurde. Hätte er als Parteichef nicht wissen müssen, dass sein Schatzmeister jahrelang Parlamentarierstimmen mit öffentlichen Geldern kaufte? Zumindest sie dürften nun eine gewisse Befriedigung empfinden.
Hoffnung auf Gerechtigkeit
Ob sie deshalb an die Unabhängigkeit der Justiz glauben, ist eine andere Frage. Mehr als 30 Jahre nach Wiederherstellung der Demokratie wäre es aber Zeit, dass sich die Justiz eine angemessene Glaubwürdigkeit erarbeitet. Die Ermittler der "Operation Waschstraße" tragen dazu bei.
Das tun sie allerdings weniger, weil sie sich trauten, mit Lula da Silva einen der prominentesten und beliebtesten Brasilianer überhaupt verhaften zu lassen. Viel wichtiger ist, dass im Zuge der "Operation Waschstraße" augenscheinlich konsequent ermittelt wird - auch über Parteigrenzen hinweg.
Entscheidend für den Ruf der brasilianischen Justiz wird sein, ob sie das durchhält und auch in Zukunft Verdachtsmomenten nachgeht - ohne Rücksicht auf politische und wirtschaftliche Implikationen zu nehmen.
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