Demonstrationen in Polens Städten; eine Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, die sich der Versetzung in den Ruhestand widersetzt; EU-Abgeordnete mit Schildern "Rule of Law" (Rechtsstaat) - der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki hat sich für seine Rede zur Zukunft Europas vor dem Europäischen Parlament in Straßburg den denkbar schlechtesten Termin ausgesucht.
Keinerlei Glaubwürdigkeit mehr
Morawieckis Rede selbst enthielt viele richtige Ansätze: Europa soll sich vor allem wirtschaftlich entwickeln - selbstverständlich. Europa soll seinen Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit bieten - natürlich. Die EU soll sozialer werden, Armut bekämpfen und die Unterschiede zwischen Arm und Reich verringern - na klar. Mehr noch: Die EU soll sich der Macht der globalen Konzerne widersetzen und solche Giganten wie Google und Facebook kritisch unter die Lupe nehmen - wer würde hier widersprechen?
Doch das Problem des polnischen Premiers besteht darin, dass er für die Mehrheit der EU-Parlamentarier keinerlei Glaubwürdigkeit mehr besitzt. Denn während er in Straßburg sprach, trat in Polen ein Gesetz in Kraft, welches das Rentenalter der obersten Richter des Landes herabsetzt. Anders als nach den geltenden, rechtsstaatlichen EU-Standards wird diese Änderung jedoch nicht allein bei den künftigen, sondern bereits auch gegenüber den schon amtierenden Richtern angewandt. Mit diesem Kunstgriff wurde die für die Regierung unliebsame Präsidentin des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf, mit sofortiger Wirkung in den Zwangsruhestand versetzt: Ein höchst umstrittener Vorgang, denn laut polnischer Verfassung beträgt ihre Amtszeit volle sechs Jahre - das wäre bis 2020. Dass Gersdorfs Versetzung in den Ruhestand illegal ist, hat übrigens auch die Vollversammlung der obersten Richter festgestellt. Und entsprechend ist Gersdorf auch heute wieder an ihrem Arbeitsplatz am Gericht erschienen - begleitet von Demonstranten und TV-Kameras.
Dramatischer Appell zum Abschied
Gersdorf selbst hielt noch am Dienstag, ihrem von der Regierung gewollten letzten Amtstag, an der Warschauer Universität eine dramatische Rede. Sie sprach von einer Krise der Rechtsstaatlichkeit in Polen und dass nun mit der Unabhängigkeit des Obersten Gerichts eine Epoche des Justizwesens zu Ende gehe. Es handele sich um einen historischen Moment in Europas Geschichte, weil der demokratische Konsens der Nachkriegsjahre in Frage gestellt werde, nachdem extreme Kräfte die Oberhand gewonnen hätten. Sie appellierte an die Studenten, das europäische Recht und seine Prinzipien stets zu achten. Sie dürften niemals erlauben, dass die europäische Idee zerstört werde.
Eigentlich wünscht man sich, dass an diesem schwarzen Tag für Polens Rechtsstaat nicht Mateusz Morawiecki, sondern Malgorzata Gersdorf im Europäischen Parlament gesprochen hätte. Morawiecki hingegen hätte sich seine Rede in der Tat sparen können.
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