Nach "Peace Deal" ins nächste Desaster
Am Tage der bange Blick in den Himmel mit der Frage, ob der Kampfjet über dem Dorf eindreht oder doch weiterfliegt und seine Bombenlast woanders abwirft, in der Nacht das Lauschen hinter verrammelter Tür in die Dunkelheit und die Angst, wenn - wie am Wochenende in Kundus - draußen Schüsse fallen. Oder in den großen Städten der Weg zur Arbeit, zur Hochzeitsfeier oder gar zur Moschee - lebensgefährlich.
Das ist die Realität in Afghanistan, wo seit 18 Jahren Krieg herrscht. Am Montagabend starben wieder 16 Menschen in Kabul in einem Taliban-Attentat, alles Zivilisten, 119 weitere wurden verletzt. Frieden, endlich Frieden, ist daher der Wunsch der meisten Menschen dort. Egal, um welchen Preis.
Ist der Preis zu hoch?
Ein Abkommen zwischen USA und Taliban in Doha soll diesen bringen - auch hier um jeden Preis. Demokratie, Menschenrechte, Gleichberechtigung, Schulbildung für Jungen und Mädchen, freie Medien: Diese Themen standen erst gar nicht zur Verhandlung. Ein zu hoher Preis?
Sicher nicht in den Augen vieler Afghanen, für die es schon lange keine guten Heilsbringer aus dem Ausland und böse Aufständische mehr gibt. Wenn die Taliban Anschläge verüben, kommen regelmäßig Zivilisten ums Leben, aber ebenso bei Bombenabwürfen und Angriffen des afghanischen Militärs und seiner US-Berater. Sie mussten zur Jahresmitte erstmals sogar mehr tote Zivilisten verantworten als die Aufständischen.
Die zynische Taktik der Taliban
Die Eckpunkte des "Peace Deals" werden nun langsam klarer, aber egal, wie man sie bewerten mag, in der Essenz wird sich nach Doha nichts ändern. Auch wer sich angestrengt nach einem Lichtblick umschaut, muss sich am Ende leider doch den vielen düsteren Analysen anschließen, die derzeit in den Medien und sozialen Netzwerken kursieren: Frieden wird so schnell nicht kommen. Im Gegenteil: Wahrscheinlicher erscheint ein handfester Bürgerkrieg wie in der 90er Jahren, nachdem die Sowjets aus Afghanistan abgezogen waren.
Die US-Truppen mögen in einem Burgfrieden in Ruhe abziehen, auch ein Waffenstillstand mit den afghanischen Streitkräften "ist auf der Agenda" der Taliban, sobald sie Gespräche mit der jetzigen afghanischen Regierung aufnehmen. Ein vages Versprechen.
Denn auch das ist eine Lehre aus den Gesprächen in Doha: Die Taliban scheuten nicht davor zurück, den Krieg in Afghanistan ungeniert weiter zu führen, auch wenn sie den USA in Doha demonstrativ in den Armen lagen. Sie spielten Attentate aus wie Aktionskarten in einem Strategiebrettspiel: Kommen sie nicht so recht voran, machen sie mit einem Anschlag Druck am Verhandlungstisch. Dass dabei Menschen ums Leben kommen, spielte keine Rolle. Kaum einer kann ernsthaft bezweifeln, dass sie diese zynische Taktik bei den innerafghanischen Gesprächen fortsetzen werden.
Der IS bleibt die unbekannte Größe
Aber auch nach einer Einigung mit Kabul oder, im schlimmsten Fall, einer Neuauflage des radikalislamischen Emirats der 90er Jahre, ist kaum Frieden in Sicht. Schon gibt es Taliban-Kommandeure, die mit dem erstarkten "Islamischen Staat" (IS) liebäugeln, oder sich diesem gar bereits angeschlossen haben - erbost darüber, dass die Doha-Unterhändler ausgerechnet die USA als Steigbügelhalter brauchten, um Erfolg zu haben.
Der IS bleibt die unbekannte Größe: Die unausgesprochene Hoffnung der USA ist, dass die Taliban den IS niederringen, um ihr Versprechen einzulösen, dass von Afghanistan kein internationaler Terror mehr ausgeht. Kurioserweise sehen sich dann die Taliban einer Situation gegenüber wie heute USA und NATO: Militärisch ist der IS kaum zu besiegen, da werden die Taliban nicht erfolgreicher sein als der Westen. So bitter es ist: Keiner kann heute sagen, wie viele Jahre des Krieges noch bevorstehen.