Neue Strategie gesucht
25. Juni 2014Die NATO-Außenminister mussten sich bei ihrem Treffen mit kurzfristigem Krisenmanagement im Ukraine-Konflikt beschäftigen. Das ist wichtig, auch wenn die Einflussmöglichkeiten der Militärallianz gering sind. Die entscheidenden Strippen ziehen die einzelnen Außenminister, die in der Ukraine-Krise Gewicht haben, also etwa der Deutsche Frank-Walter Steinmeier und der Amerikaner John Kerry. Die NATO bietet nur das Podium für die diplomatischen Aktivitäten.
Das notwendige Nachdenken über eine neue Strategie der NATO gegenüber Russland kam nicht so recht von der Stelle. Die berechtigte Frage, ob die NATO künftig Russland als Partner oder als Bedrohung behandeln will, blieb unbeantwortet. Erst im Sommer sollen dazu Papiere beschrieben werden, erst im September soll der NATO-Gipfel eine Antwort geben. Klar ist aber schon, dass es Erweiterungen nach Osten auf absehbare Zeit nicht geben soll. Ein Aufnahme Georgiens oder gar der Ukraine wären in der Allianz nicht vermittelbar und würden Russlands verbissenen Widerstand provozieren.
Die NATO gibt intern zu, dass sie mit Situationen, wie jetzt in der Ukraine, wo es keinen klaren militärischen Gegner gibt, schlicht überfordert ist. Gegen die "grünen Männchen", also kleine scheinbar desorganisierte Gruppen von Separatisten, hat die NATO keine Strategie und keine geeigneten Mittel. Wie soll sie mit der russischen Armee umgehen, die im Hintergrund an der Grenze agiert und eine Art Drohkulisse als Rückversicherung für die Separatisten aufbaut, aber nicht aktiv kämpft? 20 Jahre lang hat die westliche Militärallianz versucht, ein Verhältnis zu Russland aufzubauen, das den Namen Sicherheitspartnerschaft verdient. Durch die tiefe Krise rund um die Ukraine und die annektierte Krim ist dieses Vertrauen in blankes Misstrauen umgeschlagen. Kann die Russland-NATO-Akte aus besseren Tagen noch weiter als Grundlage für eine Zusammenarbeit oder Koexistenz dienen?
Spannungen und Risse statt gemeinsamer Doktrin
Noch wollen die meisten NATO-Staaten auf diesen Grundlagenvertrag nicht verzichten. Andere, wie Polen, weisen aber darauf hin, dass der Vertrag verändert werden muss, damit NATO-Truppen dauerhaft in Polen oder im Baltikum oder in Rumänien stationiert werden können. Diese NATO-Staaten fühlen sich bedroht. Darauf muss das Bündnis eine Antwort finden, spätestens beim Gipfeltreffen im September. Um auf die veränderte Lage an der östlichen Grenze angemessen reagieren zu können, braucht die NATO vor allem Zusammenhalt. Um die Solidarität im Bündnis ist es hinter den Kulissen wieder einmal nicht zum Besten bestellt. Die USA fordern immer lauter, mehr finanzielles Engagement von den Europäern. Denen will das Weiße Haus ihre eigene Verteidigung selbst überlassen. In Washington fragt man: Wie kann es sein, dass die Europäer sich - auch in der Ukraine-Krise - ständig auf amerikanische Soldaten und Ausrüstung verlassen, um Sicherheit in Europa zu gewährleisten?
US-Außenminister Kerry hat in Brüssel deutlich gemacht, dass die Ukraine für ihn nur einer von vielen Krisenherden in der Welt ist. Kerry hatte während seiner Reise vor allem das Problem Irak und den Vormarsch der Terroristen dort am Hals. Irgendwann wird die NATO sich auch hier positionieren müssen. Werden die Europäer die USA unterstützen, falls Washington im Irak militärisch eingreift? Eine gemeinsame Strategie ist nicht erkennbar. Um die Spannungen und Risse innerhalb der NATO zu überdecken, bereiten die Außenminister eine transatlantische Erklärung zur gegenseitigen Solidarität vor. Das verwundert, denn eigentlich sollte das in einem transatlantischen Bündnis ja wohl selbstverständlich sein. Wenn das akute Krisenmanagement in der Ukraine einmal vorbei ist, kommt auf die NATO eine Menge konzeptionelle Arbeit zu. Eine neue belastbare Doktrin muss her. Nach dem absehbaren Ende der größten gemeinsamen Mission in Afghanistan brauchen die NATO-Staaten nach 2014 eine neue Klammer.