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Contra: Nicht der richtige Ort

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Alexander Kudascheff
2. Juni 2016

Der Deutsche Bundestag hat eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich verabschiedet. DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff findet das falsch.

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Demonstration türkischer Verbände gegen Armenien-Resolution (Foto: DW)
Bild: DW/O. Coskun

Natürlich ist nichts dagegen zu sagen, dass der Bundestag den Völkermord an den Armeniern einen Völkermord nennt und das mit großen Worten beschwört. Die Frage ist nur: Warum macht er das? Gibt es irgendeinen Grund? Außer moralischer, gar deutscher Überheblichkeit? Nein, es gibt keinen wirklichen.

Den Völkermord als Völkermord zu verstehen, zu begreifen, wahrzunehmen, historisch einzuordnen - das ist Sache der Türken. Sie müssen sich ihrer Geschichte, ihrer Vergangenheit stellen. Die "40 Tage des Musa Dagh", dieser so eindringliche wie bewegende Roman Franz Werfels über das Martyrium der Armenier im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich, muss verpflichtende Schullektüre werden - wenn sie sich ihrer Geschichte stellen. Aber es ist nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages - und das parteiübergreifend im Namen aller Deutschen -, das für das türkische Volk oder die türkische Politik stellvertretend zu übernehmen. Das ist nicht nur überheblich, das ist anmaßend. Das ist eine Einmischung in die innere Angelegenheiten, das ist eine Grenzüberschreitung.

Wann passt uns die Moral, wann nicht?

Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um Moral, hier geht es um die deutsche Haltung. Wie die Deutschen sich ihrer Vergangenheit, dem Dritten Reich, dem Zweiten Weltkrieg und vor allem dem industriellen Massenmord an den europäischen Juden gestellt haben, mag für viele vorbildhaft sein. Es ist aber zuerst eine deutsche Angelegenheit, diesen Zivilisationsbruch zu begreifen, sich zu vergegenwärtigen, ihn anzunehmen - als Erbe, als Schuld deutscher Vergangenheit.

Kudascheff Alexander
DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff

Wenn wir meinen, die Türken sollten das auch - dann können deutsche Historiker, Politikwissenschaftler, Experten das auf allen Podien der Welt fordern - vor allem auf deutsch-türkischen. Aber der Bundestag ist nicht der richtige Ort. Oder wollen wir demnächst auch den Stalinismus, den Maoismus, die Herrschaft der Roten Khmer, den Vietnamkrieg als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilen?

Wann passt uns die Moral, wann passt sie uns nicht? Und vor allem: Was folgt daraus? Keine Beziehungen zu diesen Ländern oder Völkern, bis sie sich zu ihrer Vergangenheit bekannt haben? Nein: Die Resolution des Deutschen Bundestages - wie auch die der Nationalversammlung in Frankreich vor einigen Jahren - ist eine moralisch ehrenwerte Geste. Aber sie ist anmaßend, überheblich und - schlimmer noch - folgenlos. Diplomatie ist kein Wettbewerb der moralisch Anständigen. Sie ist der vernünftige und vernunftbetonte Umgang der Staaten miteinander. Nicht mehr. Nicht weniger.

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