Pekings Angriff auf Hongkongs Autonomie
Als sich am Freitag 2897 Volksvertreter aus ganz China in der Großen Halle des Volks versammelten, mussten sie sich trotz des dominierenden Themas Corona-Krise gleich nach der Eröffnung des Plenums des Scheinparlaments mit einem lokalen Gesetz befassen. Ein beispielloser Vorgang, der Signalwirkung hat, denn es geht um Pekings Herrschaft über Hongkong.
Die ehemalige britische Kronkolonie darf sich seit der Rückgabe an China im Juli 1997 nach dem Grundsatz "Ein Land, Zwei Systeme" für mindestens 50 Jahre selbst verwalten. Das zentrale Rechtsdokument, das sogenannte Grundgesetz (Basic Law), sieht zwar Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nach westlichem Vorbild vor, weist jedoch einige Schwächen auf. So gibt es zum Beispiel keine konkreten Fristen für die Direktwahlen des Verwaltungschefs und des Stadtparlaments.
Peking will Staatsverrat unter Strafe stellen
Problematisch ist auch der sogenannte Paragraf 23 zur Staatssicherheit. Demnach ist die Sonderverwaltungszone verpflichtet, Straftatbestände wie Staatsverrat und Untergrabung der Staatsgewalt durch lokale Gesetzgebung unter Strafe zu stellen. Verbindungen zu ausländischen Parteien und politischen Institutionen sollen ebenfalls verboten werden.
Das gesetzgebende Verfahren begann schon kurz nach dem Jahr 2000 und löste bei jedem neuen Anlauf eine neue Welle von Demonstrationen aus. Die Ängste in Hongkong vor Untergrabung des Grundsatzes "Ein Land, zwei Systeme" und der direkten Verwaltung durch Peking sowie das Misstrauen gegenüber der Kommunistischen Partei sind nach wie vor groß. So nutzt die KP-kritische Demokratiebewegung besonders den Paragrafen 23 stets als Wahlkampfthema für ihre politischen Forderungen: mehr Demokratie, mehr Bürgerrechte, weniger Einfluss aus Peking.
Peking am längeren Hebel
Die Botschaft aus Peking vom Freitag ist klar: Der Zentralregierung geht die Geduld aus. Die KP zeigt jetzt Muskeln und will der Sieben-Millionen-Metropole Hongkong endlich ein Staatssicherheitsgesetz aufzwingen. Rechtlich darf Peking ein solches Landesgesetz in Hongkong einführen, wenn dieses in den Anhang III des Hongkonger Basic Laws aufgenommen wird. Die Entscheidungshoheit über den Anhang III hat der Nationale Volkskongress.
Das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" ist ein Spagat, ein politischer Kompromiss zweier völlig unterschiedlicher Staatsformen und Weltbilder und letztendlich eine Farce. Denn die Gewichte in diesem Konstrukt sind ungleich verteilt. Die Kommunisten sitzen am längeren Hebel. Die Ankündigung zeigt, wozu das autoritäre System in der Lage ist: Peking kann und wird sich legal in die demokratische Grundordnung Hongkongs einmischen, jede unbeliebte kritische Stimme ausschalten und Hongkong kommunistisch umgestalten.
Keine Gegenstimmen zu erwarten
Die Zentralregierung will außerdem ermöglichen, dass kommunistische Sicherheitsbehörden demnächst Niederlassungen in Hongkong einrichten und dort aktiv werden dürfen. Aus dem Chaos und den anarchistischen Zuständen in Hongkong anlässlich der Debatte um das umstrittene Auslieferungsgesetz 2019 haben die roten Kader in Peking gelernt. Ihre Antwort darauf: Falls Hongkong aufgrund der politischen Pattsituation Gesetze im Sinne der Staats- und Parteiführung nicht durchsetzen kann, nutzt der Volkskongress seine absolute Macht, um ein Landesgesetz allein mit dem Geltungsbereich Hongkong zu verabschieden.
Mit Gegenstimmen ist dabei nicht zu rechnen. Zwar hat auch der Wahlbezirk Hongkong 36 Abgeordnete zum Nationalen Volkskongress entsandt. Die meisten von ihnen sind jedoch reiche Kaufleute mit dem Segen der Kommunisten. Berufspolitiker aus den Reihen der Opposition in Hongkong sind in der Großen Halle des Volks hingegen nicht vertreten. In den Augen des Scheinparlaments sind das ja "Separatisten" sowie "Unruhestifter" und gehören deswegen ganz selbstverständlich nicht zum Volk.