Polit-Show statt Aufbruch
22. Oktober 2008Die Defizite im Bildungswesen Deutschlands sind klar benannt und bekannt: Zu viele Schulabgänger ohne Ausbildung, zu viele Studienabbrecher, unterfinanzierte Hochschulen, zu wenige Ingenieure, zu große soziale Unterschiede in den Bildungskarrieren – um nur einige Schlagworte der letzten Jahre zu nennen. Deshalb war er war mit Spannung erwartet worden, der große "Bildungsgipfel" von Bund und Ländern in Dresden.
Lieblingsthema politischer Sonntagsreden
Doch leider haben die auf dem Dresdner Bildungsgipfel versammelten Politiker keine den Problemen angemessene Antwort präsentiert. Bildung, das Lieblingsthema politischer Sonntagsreden, wurde mal wieder zum Spielball politischer Selbstdarstellung degradiert. Mehr als reine Absichtserklärungen sind nicht dabei herausgekommen. "Bildung soll in Deutschland höchste Priorität haben" wurde als Ergebnis verkündet. Ja, hatte es die denn vorher nicht? Bund und Länder haben sich in Dresden darauf verständigt, die Zahl der Schul- und Ausbildungsabbrecher zu halbieren. Das wurde nun schon häufig gefordert, geschehen ist bislang nichts.
Bund und Länder wollen ihre Ausgaben für Bildung und Forschung bis zum Jahr 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern. Klingt gut, nur: Wie man dieses Ziel erreichen will, das hat man sicherheitshalber nicht gesagt. Schon erstaunlich, dass es gelingt, in kürzester Zeit ein milliardenschweres Paket für die schwer kriselnde Finanzbranche zu beschließen, dass es aber offenbar nicht zu schaffen ist, sich auf die Finanzierung des wichtigsten Rohstoffs zu verständigen, den Deutschland hat – die Bildung.
Verschieben statt handeln
Was da am Mittwoch verkündet wurde, ist also reine Symbolpolitik – "Seht her, wir haben es zur Chefsache erklärt, wir kümmern uns drum." Das klingt gut vor einem Jahr wie dem kommenden, in dem es einige Landtagswahlen und eine Bundestagswahl gibt. Immerhin wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich darum kümmern soll, wie denn die ehrgeizigen Ziele zu finanzieren sind. Ergebnisse soll es aber erst nach der Bundestagswahl 2009 geben. Verschieben statt handeln, das ist das Motto.
Die zentralen Probleme des deutschen Bildungssystems sind wieder einmal nicht angepackt worden: Es bleibt ein Desaster, dass in einem reichen Land wie Deutschland nach wie vor der Geldbeutel der Eltern über den zukünftigen Bildungsweg entscheidet. Die Forderung von Bundeskanzler Willy Brandt aus den 70er Jahren, "Bildung für alle", ist nie erfüllt worden. Managersohn aufs Gymnasium, Arbeiterkind auf die Hauptschule - das ist oft noch immer so. Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Schichten, Kinder mit Migrationshintergrund werden zuwenig gefördert, ihr Potential nicht erkannt.
Fatale Auslese
Die deutschen Bildungsausgaben liegen weit unter dem Schnitt vieler anderer Industrieländer. Vor allem im Primarbereich, also in den Grundschulen, wird wesentlich weniger pro Kind investiert als woanders. Deutschland ist weltweit das einzige Land, das es sich erlaubt, von jungen Eltern mehrere hundert Euro im Monat für einen Kindergartenplatz zu verlangen. Außerdem: In keinem anderen Land beginnt die Auslese, die Sortierung der Kinder in verschiedene Schultypen so früh – nach dem vierten Schuljahr wird entschieden, wohin die Bildungsreise geht. Die vertraute Lernwelt, in der gut und differenziert gelernt werden kann, geht verloren. Fast alle deutschen Bildungsforscher sind sich einig, dass längeres, gemeinsames Lernen in einer positiven und nicht durch Leistungsdruck geprägten Atmosphäre die Lösung ist.
Aber über Inhalte, Strategien wurde in Dresden nicht gesprochen. Angela Merkel hat die Beschlüsse vom Mittwoch als einen wichtigen Schritt in Richtung "Bildungsrepublik Deutschland" gewürdigt. "Bildungsillusion Deutschland", so hat das eine Zeitung geschrieben, wäre wohl der bessere Begriff.