Putins alter Wein in neuen Schläuchen
4. Dezember 2014Für den, der Russland und die Russen liebt, sind die Reden zur Lage der Nation von Präsident Wladimir Putin seit Jahren ein Ohrenschmaus - auch diesmal: Er versteht es, in wohlklingenden Worten das Bild von einem guten, starken, geeinten Russland zu zeichnen, in dem der Staat seinen Bürgern freie wirtschaftliche Entfaltung gewährt, sich um die Armen und Schwachen kümmert und die nötigen Schritte für eine Re-Industrialisierung des Landes planmäßig umsetzt. Putin ist da ganz in der Rolle des guten Zaren gefangen, wenn er bürokratische Entlastungen für Kleinunternehmer, Steueramnestien, niedrige Inflationszahlen, Investitionen in Infrastruktur, Gewerbeparks und Stipendien-Programme für Studenten ankündigt. Die Liste seiner geplanten Wohltaten und Gesetzesaufträge war auch bei der diesjährigen Rede zur Lage der Nation lang.
Selbst für das Ausland fand der russische Präsident angesichts der Ukraine-Krise und der heftigen Differenzen mit den USA und der Europäischen Union relativ milde Worte. Er wiederholte in seiner Rede die mittlerweile in Russland kanonisch gewordene Sichtweise auf die Krim und die Ukraine-Krise. Doch seine Rede war nicht konfrontativ gegen den Westen oder die Ukraine gerichtet. Im Gegenteil. Putin betonte, dass die Ukraine ein Recht auf eigenständige Entwicklung habe und Russland offen bleiben wolle für die Zusammenarbeit mit dem Ausland - insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht. Auch hier also der gute Zar.
Taten, nicht Worte zählen
Doch Putins schöne Worte über das heutige und künftige Russland sind nur alter Wein in neuen Schläuchen. Seit Jahren verspricht Präsident Putin liberal-technokratische Reformen und Investitionen in die Re-Industrialisierung Russlands. 2012 in seinem letzten Wahlkampf hat er sogar die Schaffung von 25 Millionen neuen hochproduktiven Arbeitsplätzen bis 2020 angekündigt. Doch sichtbare Ergebnisse gibt es nicht. Oft verschwinden die Staatsinvestitionen in Korruption und Misswirtschaft. Dagegen will Putin zwar seit Jahren mit Kontrolle und Härte durch die Sicherheitsorgane vorgehen, aber interessanterweise kam das Wort "Rechtsstaat" nicht ein einziges Mal in der aktuellen Rede Putins vor.
Nichts Neues gab es auch beim Ziel Putins, russisches Fluchtkapital aus dem Ausland - vor allem aus Steuerparadiesen - zurück nach Russland zu holen. Dafür hat er nun eine umfassende Amnestie versprochen. Schon in seiner Rede zur Lage der Nation 2012 hat Putin sich vehement zu diesem Thema geäußert und den Begriff der "De-Offshorisierung" der russischen Wirtschaft geprägt. Die Realität sieht jedoch anders aus: Der russische Finanzminister hat vor wenigen Tagen erklärt, dass die Kapitalausfuhr aus Russland im Jahr 2014 wohl zwischen 120 und 130 Milliarden US-Dollar liegen würde, was eine Verdoppelung im Vergleich zum Jahr 2013 bedeuten würde. Es gelingt also mitnichten, statt ausländischer Investoren das russische Fluchtkapital zurückzuholen, um damit die russische Wirtschaft zu modernisieren.
Weiter so
Putins Rede zur Lage der Nation ist daher trotz der vollmundigen Versprechungen nicht anderes als ein beherztes "Weiter so". Es war die Rede eines Politikers, der sich auf richtigem Kurs sieht und die Elite darauf einschwört. Ob aber mit diesem Rezept die wirtschaftlichen, sozialen und auch politischen Herausforderungen Russlands gemeistert werden können, ist sehr fraglich.
Der Ölpreis ist in den vergangenen Monaten stark gefallen, was spürbar negative Auswirkungen auf Staatseinnahmen, Rubel-Kurs und damit auf die Kaufkraft der Bevölkerung hat. Die Sanktionen des Westens - wegen der russischen Ukraine-Politik - verstärken diesen negativen Effekt für die russische Wirtschaft noch. Wie unter diesen Bedingungen die Inflation unter vier Prozent gedrückt und gleichzeitig wieder BIP-Wachstumsraten über den globalen Durchschnitt erreicht werden können, ist ein Rätsel. Die Rede Putins zeigt daher deutlich, dass sich das politökonomische Modell in Russland erschöpft hat. Dem Land und den Menschen stehen schwere Zeiten bevor. Bitter für alle, die Russland und die Russen lieben - trotz der schönen Worte Putins.