Saudi-Arabien am Scheideweg
23. Januar 2015Die Nachfolge des verstorbenen saudischen Königs Abdullah konnte schnell geklärt werden. Die saudische Herrscherfamilie hatte angesichts seiner langen Krankheit auch ausreichend Zeit, um sich auf den Machtwechsel vorzubereiten. Doch die reibungslos erfolgte Machtübergabe kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die saudische Führung um den neuen König Salman bin Abdalaziz mit einer Reihe von außenpolitischen Konflikten und innenpolitischen Herausforderungen konfrontiert sieht.
Zwar gilt der neue, an Demenz leidende König wie sein Vorgänger - für saudi-arabische Verhältnisse - als relativ aufgeschlossen und "reformorientiert". Doch mit seinem Alter von 79 Jahren ist er beim besten Willen nicht mehr als ein "Übergangsmonarch". Ein echter Generationenwechsel im saudischen Königshaus steht damit weiterhin aus und wurde lediglich um einige wenige Jahre aufgeschoben.
Neuer König, altes Dilemma
Innenpolitisch steht der neue König genau vor dem gleichen Dilemma, vor dem alle Herrscher aus dem Hause al Saud seit der Gründung der Monarchie standen: Die weltliche Führungselite in Riad muss den Einfluss der ultrakonservativen, puritanischen Wahhabiten zurückdrängen, um notwendige Reformen in Staat und Gesellschaft durchzusetzen.
Ihre Handlungsspielräume sind dabei freilich begrenzt, weil die wahhabitischen Fundamentalisten zentraler Teil des Machtapparats sind. Zudem gilt der Wahhabismus nicht nur als die wichtigste Legitimationsgrundlage der regierenden al Saud-Familie; faktisch stellt er eine Art staatstragende Ideologie dar. Gerade deshalb fördert Saudi-Arabien radikale, wahhabitische Missionare in vielen Ländern - und trägt somit zur Expansion des globalen Salafismus entscheidend bei.
Epizentrum der Konterrevolution
Die Volksaufstände im Zuge der Arabellion stellten die saudische Führung vor große Herausforderungen. Schließlich musste sie fürchten, dass die revolutionäre Dynamik auf die eigene, junge, internetaffine und zunehmend unzufriedene Bevölkerung übergreift.
Deshalb setzte sie sich an die Spitze der Konterrevolution und finanzierte den Militärputsch gegen Mohammed Mursi, den ersten demokratisch gewählten Präsidenten in der Geschichte Ägyptens. Schon zuvor hat Saudi-Arabien in Bahrain militärisch interveniert und geholfen, die friedliche Bürgerbewegung mit Waffengewalt niederzuschlagen.
Doch die Regionalpolitik der Stabilität um jeden Preis stößt angesichts zunehmender außenpolitischer Misserfolge an ihre Grenzen: Der Aufstieg des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) in Syrien und im Irak zeigt eindrucksvoll, wie begrenzt die außenpolitischen Einflussmöglichkeiten der sunnitischen Führungsmacht sind. Die IS-Dschihadisten stellen für Saudi-Arabien eine existentielle Gefahr dar. Im Kampf gegen sie ist das Land auf die Hilfe der westlichen Verbündeten angewiesen.
Neue Ansätze sind gefragt
Schwerwiegend ist zudem das Scheitern saudischer Syrienpolitik: Die Unterstützung der syrischen Opposition brachte nicht das erhoffte Ergebnis. Das mörderische Assad-Regime sitzt weiter fest im Sattel. Dadurch ist die Angst Riads vor einer iranisch-schiitischen Vormachtstellung in der Region nicht kleiner geworden. Zumal das Verhältnis des Königshauses zur Türkei, der größten und stärksten sunnitischen Regionalmacht, als schlecht gilt.
Weil der Reformstau die Leistungsfähigkeit der größten Volkswirtschaft im arabischen Raum massiv beeinträchtigt und die Unzufriedenheit in der sehr jungen Bevölkerung aufgrund fehlender Bürgerrechte und Partizipationsmöglichkeiten wächst, sind substanzielle Reformen unabdingbar. Wenn es den Eliten um den neuen König Salman jedoch nicht gelingen sollte, solche Reformen in Staat und Gesellschaft auch gegen den Widerstand des wahhabitischen Establishments auf den Weg zu bringen und außenpolitisch mehr Kooperation mit den anderen Regionalmächten zu wagen, dürfte Saudi-Arabien in absehbarer Zeit ein Hort der Instabilität werden.