Kommentar
11. Dezember 2006Endlich ist er tot. Man wünscht niemandem den Tod, auch seinem ärgsten Feind nicht. Doch abseits aller "political correctness" ist das Ableben Pinochets ein Schlusspunkt unter das dunkelste Kapitel in der chilenischen Geschichte. Wenn es die Justiz schon nicht geschafft hat, den früheren Diktator Augusto Pinochet wegen Menschenrechtsverletzungen, Steuerhinterziehung und Geldwäsche rechtskräftig zu verurteilen, so muss sich das Land jetzt zumindest nicht weiter von dem greisen Despoten verhöhnen und demütigen lassen.
Er werde sich nicht bei den Opfern der Militärdiktatur entschuldigen, ließ Pinochet noch letzte Woche vom Krankenbett aus der chilenischen Öffentlichkeit mitteilen - nicht, solange sich seine Gegner nicht beim Militär entschuldigen. Die Gegner sind die Opfer - 4.000 Ermordete und Verschwundene, 100.000 Folteropfer und 200.000 politische Flüchtlinge.
Es ist Zeit für den Aufbau einer neuen Gesellschaft
"Eher früher als später öffnen sich die großen Alleen, auf denen der freie Mensch schreitet, um eine neue Gesellschaft aufzubauen" - das waren die letzten Worte, die Salvador Allende nach dem Militärputsch aus dem Präsidentenpalast über den Rundfunk an die Bevölkerung richtete - bevor er sich das Leben nam. Jetzt ist für Chile dieser Zeitpunkt gekommen. Längst ist das Land zwar zur Demokratie zurückgekehrt, doch das Erbe der Diktatur lastet nach wie vor schwer auf dem vermeintlichen wirtschaftlichen und politischen Musterland Südamerikas.
Noch immer ist das Schicksal tausender Verschwundener nicht aufgeklärt, noch immer laufen Folterer und die Ideologen des von Pinochet ausgerufenen "Krieges gegen den Marxismus" frei herum. Das Militär hat während der Diktatur die Drecksarbeit erledigt: das Verhaften, Foltern und Ermorden von Regimegegnern, die bis in die USA und nach Europa von den Schergen des Regimes verfolgte wurden.
Die Verantwortlichen bereuen nichts
Unterstützung für den von Washington gesteuerten Militärputsch 1973 und die folgende 17jährige Diktatur kam von der politischen Rechten in der Zivilgesellschaft. Und die hat ihre politische Verantwortung bis heute nicht aufgearbeitet. Nach wie vor hält sie an der Richtigkeit der Diktatur fest und verweist nur allzu gerne auf die vermeintlichen wirtschaftlichen Erfolge. Pinochet hatte den Chicago Boys des Neoliberalismus-Predigers Milton Friedman das Land als Experimentierfeld für ihre radikale Privatisierungspolitik überlassen. Das hohe Wirtschaftswachstum wurde mit der Verarmung breiter Teile der Bevölkerung und mit hoher Arbeitslosigkeit erkauft - und diese Strukturen lassen sich nur mühsam und langsam ändern.
Es ist zynisch, dass die Anhänger Pinochets sich erst von ihrem politischen Übervater losgesagt haben, als bekannt wurde, dass der Diktator Millionen Dollar auf schwarzen Konten im Ausland deponiert hatte - da bekam das Bild des enthaltsamen Soldaten Risse. Die Menschenrechtsverbrechen fallen in diesem Weltbild nicht in die Waagschale.
Folterer und Opfer leben Tür an Tür
Chile hat es zwar geschafft, die Opfer der von Folter und Verfolgung als solche anzuerkennen, doch vor der Bestrafung der Täter schreckt die Justiz noch zurück. Bis vor kurzem lebte die heutige Präsidentin Michelle Bachelet im selben Hochhaus wie einer ihrer Folterer - man begegnete sich morgens im Aufzug.
Dass Pinochet kein Staatsbegräbnis erhält und dass keine Staatstrauer ausgerufen wird, ist eine richtige Entscheidung der Regierung. Die Familie Pinochets trauert um den Tod eines Angehörigen, während das Land befreit aufatmet. Mit Pinochet ist der letzte Diktator Lateinamerikas gestorben - und mit ihm eine Ära. Endlich.