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Symbolisches Zuspätkommen

Christian F. Trippe11. März 2015

Die Bundeskanzlerin hat sich festgelegt: Angela Merkel wird am 9. Mai nicht an der Parade zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Moskau teilnehmen. Eine schwere, aber notwendige Entscheidung, findet Christian F. Trippe.

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Bildergalerie Siegesparade in Moskau 09.05.2014
Traditionell findet am 9. Mai eine Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau statt - ein Bild vom vergangenen JahrBild: Reuters

Überrascht hat am Ende nur noch der Zeitpunkt: Selbst enge Mitarbeiter der Bundeskanzlerin hatten erwartet, dass Angela Merkel sich noch Zeit lässt mit dieser Entscheidung. Dass sie zunächst abwartet, wie sich die Dinge in der Ostukraine weiter entwickeln. Dass sie diesen Verhandlungschip mit extrem hohem Symbolwert so lange wie möglich hält. Dass sie das Für und Wider in aller Ruhe abwägt.

Der "Tag des Sieges" hat für Russland eine überragende Bedeutung. Es gibt keinen anderen Feiertag in Russland, dessen emotionale Wucht auch nur entfernt an das heranreicht, was der 9. Mai auslöst. Der Tag der deutschen Kapitulation ist ein Tag, der für Russen konstitutive Bedeutung hat - stärker als der Verfassungstag, ernster als der 1. Mai, unwidersprochener als alle religiösen Feiertage.

Der Zweite Weltkrieg war für Russland ein Existenzkampf

Die Sowjetunion hat im Zweiten Weltkrieg um mehr gekämpft, als um Sieg oder Niederlage. Die Russen haben um ihr Überleben als Volk, Russland um das Überleben als Kulturraum gekämpft. Noch 70 Jahre später trägt die russische Gesellschaft überall die Narben dieses Krieges mit Nazi-Deutschland, der mehr als 20 Millionen Sowjetbürger das Leben gekostet hat.

All‘ das weiß Angela Merkel, all‘ das hat sie als Studentin auf ihren Reisen durch Russland selbst erfahren. Und doch lehnt sie nun die Einladung ab, am 9. Mai zu den offiziellen Feiern nach Moskau zu kommen. Es ist ja nicht auszuschließen, dass über den Roten Platz auch Einheiten paradieren, bei denen sich dann herausstellt, dass diese Truppen an Russlands unerklärtem Krieg in der Ostukraine oder am Handstreich auf der Krim beteiligt waren.

01.2012 DW Europa aktuell Moderator Christian Trippe
DW-Korrespondent Christian F. TrippeBild: DW

Russland hat sich im Zweiten Weltkrieg des deutschen Faschismus erwehrt. Diese historische Tatsache und Leistung entwertet die staatliche russische Propaganda in diesen Tagen selbst: Indem sie die Moskauer Aggression gegen die Ukraine ebenfalls als 'Kampf gegen den Faschismus' - diesmal den der angeblichen 'Junta' in Kiew - bezeichnet. Auch solche Erwägungen mögen eine Rolle gespielt haben, als Angela Merkel jetzt die Einladung auf die Tribüne am Roten Platz ausschlug. In Sichtweite übrigens jenes Ortes, an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow Ende Februar ermordet wurde.

Heute ist Russland für viele eine Bedrohung

Und dennoch unterscheidet sich Merkels Absage von der Absage anderer europäischer Granden: Polen, Litauer, Esten und Letten wollen nicht an den Siegesfeiern teilnehmen, weil mit dem Vorrücken der Roten Armee für sie eine neue Zeit der Unterdrückung begann und - gewichtiger noch - weil sie sich durch Putins neo-imperiale Politik heute bedroht fühlen.

Merkel hingegen stellt sich der Erinnerung an das Leid, das deutsche Truppen über Russland gebracht haben: Einen Tag nach den offiziösen und militärisch pompösen Feiern will sie gemeinsam mit Putin an der Kremlmauer einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten niederlegen. Ein stilles Gedenken also dort, wo jeder laute Ton in diesen Tagen schnell diplomatische Missklänge erzeugt. Die Russen werden diese Geste der deutschen Kanzlerin zu deuten wissen.

Noch ist übrigens unklar, wie sich Obama, Cameron und Hollande verhalten, ob sie als Vertreter der damaligen Verbündeten der Sowjetunion zur Siegesfeier kommen oder nicht. Fest steht dagegen, dass der nordkoreanische Diktator Kim Yong-un zur Parade anreist. Was er dort zu suchen hat, bleibt ein Rätsel. Angela Merkel muss es nun nicht mehr lösen.