Kommentar: Taten statt Worthülsen
10. Juli 2014Die Bundesregierung wird es sich nicht leicht gemacht haben mit dem angekündigten Rauswurf eines hochrangigen Mitarbeiters der US-Botschaft in Berlin. Schließlich ist seit den ersten Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über die amerikanischen Spionage-Aktivitäten mehr als ein Jahr vergangen. Seitdem weigert sich die US-Regierung beharrlich, ihrem wichtigsten Verbündeten in Europa auch nur einen Schritt entgegenzukommen. Briefe und Fragen-Kataloge bleiben unbeantwortet, ein No-Spy-Abkommen kommt nicht zustande.
Lange, viel zu lange, ließ sich die Bundesregierung mit fadenscheinigen Informationen abspeisen. Fast schon legendär ist der Auftritt des damaligen Geheimdienst-Koordinators Ronald Pofalla vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste (PKG). Der Christdemokrat erklärte die nach dem US-Geheimdienst NSA benannte Affäre kurzerhand für beendet. Aus Überzeugung? Aus kaltschnäuzigem Kalkül, wenige Wochen vor der Bundestagswahl? Egal, es war ein gewaltiger Irrtum. Die Affäre war natürlich alles andere als vorbei. Sie nahm dank der immer neuen Enthüllungen aus dem schier unerschöpflichen Snowden-Fundus erst so richtig Fahrt auf.
Washington ignorierte die Signale
Auf das rasende Tempo der Medienberichte, auf die bohrenden Fragen besorgter Staatsbürger aus Politik und Gesellschaft reagierte die deutsche Regierung geradezu penetrant mit einer Mischung aus Abwiegeln und Verharmlosen. Zum Glück ließen die Kritiker nicht locker. Und als Angela Merkel im Oktober von ihrem angezapften Mobiltelefon erfuhr, setzte auch im Kanzleramt ein zunächst vages Umdenken ein. Abhören unter Freunden, "das geht gar nicht" - dieser Aufschrei von höchster Stelle sollte auch in Washington gehört werden. Er tat es aber nicht.
Deshalb soll nun der für die US-Geheimdienste in Deutschland zuständige Diplomat sein Gastland verlassen. Die von der Bundesregierung übermittelte Aufforderung ist mit den Worten Clemens Binningers die "politische Reaktion auf den bislang nicht erkennbaren Aufklärungswillen" der Amerikaner. Binninger ist Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das sich seit dem Beginn der Affäre von der Bundesregierung und den Chefs der deutschen Geheimdienste mehr schlecht als recht informiert fühlte.
Die jüngsten Spionage-Fälle brachten das Fass zum Überlaufen
Das PKG darf die neue Entschlossenheit der politisch Verantwortlichen auch als Erfolg für sich verbuchen. Denn das Gremium hat trotz aller parteipolitischen Differenzen zwischen ihren Mitgliedern keinen Zweifel an seinem Aufklärungswillen gelassen. Ähnliches gilt für den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Letztlich war es vielleicht sogar die Summe der Empörung aus dem Parlament und auf der Straße, die das Einlenken der Regierung auslöste.
Die jüngst bekannt gewordenen mutmaßlichen Spionage-Fälle beim Bundesnachrichtendienst und im Verteidigungsministerium waren nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Als Grund für den Rauswurf des Diplomaten taugen sie bei näherer Betrachtung jedenfalls kaum. Die von den Beschuldigten an die USA weitergereichten Informationen sollen nämlich aus einem "nicht sehr brisanten Bereich" stammen, behauptet Geheimdienst-Kontrolleur Binninger. Und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) setzt noch einen drauf und bezeichnet die verratenen Informationen als "lächerlich".
Merkel zeigt endlich Zähne
In diesem Lichte betrachtet wirkt die Ausreise-Aufforderung an den US-Diplomaten sogar übertrieben und unverhältnismäßig. Und dennoch ist die Maßnahme der Bundesregierung sehr zu begrüßen. Es ist die erste beeindruckende Reaktion auf eine skandalöse Spionage-Affäre, die der engste transatlantische Partner arrogant aussitzen wollte. Damit ist es jetzt definitiv vorbei, weil die bislang so hasenfüßige Bundeskanzlerin endlich Zähne zeigt. Die Zeit der Worthülsen gehört (hoffentlich) der Vergangenheit an.