Kommentar: Tür zu!
11. Dezember 2013Man kann eine Tür auch zu lange offenhalten. Durch die offene Tür der EU für die Ukraine weht ohnehin nur noch der kalte Wind aus dem Kreml und lässt die Hausbewohner frösteln. Wie stark die Selbstachtung der Europäischen Union bei ihrem Umgang mit der ukrainischen Regierung schon gelitten hat, zeigt nichts deutlicher als der jüngste Besuch der Außenbeaufragten Catherine Ashton in Kiew. Während die Hohe Vertreterin in der Hauptstadt war und versuchte, zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln, gingen Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Ashton sagte in einer Stellungnahme, sie sei "traurig", dass die Miliz "friedliche Menschen vertreibt". Und dann gab sie der ukrainischen Regierung die Weisheit auf den Weg: "Dialog und der Austausch von Argumenten sind in jedem Fall besser als das Argument der Gewalt", so Ashton, nachdem die Polizeiaktion begonnen hatte. Auch danach blieb sie noch für ein weiteres Gespräch mit Janukowitsch in der Stadt.
Verhöhnung der Opposition
Ähnlich unangemessen hatte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle im November reagiert, als Janukowitsch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens platzen ließ. Noch am selben Tag bestieg der Kommissar ein Flugzeug nach Kiew, um Janukowitsch umzustimmen. Erst will es die EU einfach nicht akzeptieren, dass dieser Präsident ihr einen Korb gibt. Dann findet die Außenbeauftragte nur ein paar lahme Worte des Bedauerns, wenn die Regierung - noch während sie sich in Kiew aufhält - gewaltsam gegen Demonstranten vorgeht. Es scheint, dass sich Janukowitsch gegenüber der Kommission praktisch alles erlauben kann. Damit signalisiert die EU dem Präsidenten nicht nur, dass sie sein Lavieren zwischen Moskau und Brüssel akzeptiert, es ist auch eine Verhöhnung der Opposition.
Janukowitsch beherrscht das Spiel perfekt
Die ukrainische Regierung versteht sich inzwischen perfekt auf das Spiel mit der EU. Janukowitsch bläst das Abkommen ab, trifft sich dann aber frohgemut mit den Staats- und Regierungschefs in Vilnius im November und macht ihnen neue Hoffnungen. Er sagt, er wolle die Westbindung, allerdings müsse ihm Brüssel die zu erwartenden Verluste aus dem Russland-Handel ausgleichen. Nach offizieller Lesart, so stellte es kürzlich der ukrainische NATO-Botschafter Igor Dolgow dar, verfolgen die Demonstranten auf dem Maidan auch dasselbe Ziel wie die Regierung, nämlich die Annäherung an die europäischen Strukturen. Die Opposition hat es wohl nur noch nicht gemerkt. Das Gefeilsche um Geld geht unterdessen weiter: Ministerpräsident Mykola Asarow hat eine Summe von 20 Milliarden Euro genannt, bei der seine Regierung bereit sein könnte, doch noch auf ein Assoziierungsabkommen einzugehen. Man muss sich einmal vorstellen, welcher Aufschrei in Brüssel zu hören gewesen wäre, wenn zum Beispiel ein Land des westlichen Balkan derartige Forderungen für eine Annäherung an die EU gestellt hätte. Jetzt hat Ashton nach mehreren Treffen mit Janukowitsch verbreitet, der Präsident habe vor, das Abkommen zu unterschreiben. Sie geht ihm damit erneut auf den Leim.
Eine Entscheidung erzwingen
Natürlich ist die Ukraine für die EU wichtig, nicht nur wegen ihrer Größe und strategischen Bedeutung für die gesamte Region, sondern auch als Vorbild für andere ehemalige Sowjetrepubliken. Aber die umgekehrte Abhängigkeit ist ungleich größer. Und es geht auch ums Prinzip: Die EU kann sich nicht länger von Janukowitsch an der Nase herumführen lassen. Sie hat ihre Bedingungen längst gestellt. An ihnen soll sich nichts ändern. Und wenn die ukrainische Regierung darauf nicht eingehen will, muss die EU die Tür eben zuschlagen, vorerst jedenfalls. Dann erst müsste sich Janukowitsch entscheiden, was er bisher vermeiden wollte - und dank der europäischen Nachgiebigkeit auch konnte. Wie attraktiv die Ausfallstraße nach Moskau wirklich für ihn ist, wird sich dann herausstellen. Zu erwarten ist eher, dass er demütig an die Brüsseler Tür klopfen wird - wenn er die Protestwelle überhaupt politisch übersteht.