Mit der Bundeskanzlerin und ihren Interviews ist das ja so eine Sache. Normalerweise lässt sich Angela Merkel wenig in die Karten schauen, fasst zumeist Diskussionen zusammen und hält sich mit Festlegungen zurück. Aber nach einem Sommer des heftigen Streits innerhalb der Koalition um die Asylpolitik, als manche schon vom möglichen Auseinanderdriften der Union von CDU und CSU sprachen, hat sich Merkel entschieden, jetzt mal ein paar Sachen klarzustellen, zumal in den letzten Wochen wieder einige überraschende Debatten innerhalb der Regierung losgebrochen sind. Der Reihe nach: Davon, die Renten bis 2040 auf einem Niveau von 48 Prozent zu stabilisieren, wie die SPD das möchte, hält Merkel erst einmal nichts. Es bleibt also wohl dabei, dass die Altersbezüge bis 2025 garantiert sind und über die Zeit danach eine Kommission befindet. Das steht so ja auch im Koalitionsvertrag. "Wir sollten die Menschen nicht mit solchen Ideen verunsichern", meint Merkel dann noch.
Gerichtsentscheidungen respektieren
Das scheint sie dann mit Horst Seehofer, ihrem Innenminister von der CSU, abgesprochen zu haben, der im fast parallelen Interview mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen genauso spricht. Und weiter: Die Behinderung eines ZDF-Teams durch die Polizei während einer rechtspopulistischen Demonstration in Dresden verurteilt Merkel klar, sie lobt die Entschuldigung des dortigen Polizeipräsidenten. Demokratie ist mehr als gefühlte Mehrheitsmeinung, sagt sie klar, es gehören Minderheitenschutz dazu, Meinungs -und Pressefreiheit. Und wenn immer mehr Politiker Gerichtsentscheidung offen in Frage stellen, weil das ihren Positionen nicht passt, hat Merkel auch da eine klare Ansicht. "Auch mir gefällt nicht jede Richterentscheidung, aber ich respektiere sie!" Eigentlich traurig, dass die Kanzlerin zu so einer Klarstellung gezwungen ist, aber gut ist es trotzdem. Und auch ihre eigene CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer bekommt eine klare Ansage. Die hatte laut über ein verpflichtendes "Soziales Jahr" für junge Leute nachgedacht, vielleicht sogar über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Merkel sagt klar, die Wehrpflicht wird es nicht noch einmal geben. Und wenn Heiko Maas, der Außenminister von der SPD, eine klare Sprache mit dem irrlichtenden US-Präsidenten Trump fordert, dann hat Merkel (das sagt sie lächelnd in aller Seelenruhe) nichts dagegen.
"Mein Vermächtnis? Europa!"
Das alles in knapp 20 Minuten eines hektisch geführten Gesprächs, erstaunlich, wie klar sich Merkel äußert. Sie scheint denn doch verstanden zu haben, dass in Zeiten einer auseinanderdriftenden Gesellschaft, in Zeiten oft verwirrender und hastiger Debatten in der Politik von der Regierungschefin ein klares Wort gefordert ist, nicht nur vom Bundespräsidenten, auch wenn das ihrem eigentlich abwartenden Naturell nicht entspricht. Am Ende dann weicht Merkel nicht einmal bei der Frage aus, was denn als große Überschrift über ihrer Kanzlerschaft stehen soll, wenn die absehbar 2021 zu Ende geht. Europa zusammengehalten zu haben, das ist Merkel wichtig. Schwer genug im Moment, fast visionär. Aber entschlossen klingt das trotzdem.
Ach ja, von der Asyl-und Flüchtlingspolitik war vergleichsweise wenig die Rede in diesem Gespräch. Andere Themen drängen jetzt wieder in den Vordergrund. Die Kanzlerin scheint nichts dagegen zu haben nach einem Sommer fast panischer Debatten.