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Vom Musterknaben zum Problemkind

Baha Güngör21. Januar 2014

Mit seinem Regierungsstil belastet der türkische Ministerpräsident das türkisch-europäische Verhältnis. Vor einer Zerschneidung des Tischtuchs zwischen Ankara und Brüssel warnt Baha Güngör in seinem Kommentar.

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Porträt von Baha Güngör (Foto: DW)
Baha Güngör, Leiter der Türkischen Redaktion der Deutschen WelleBild: DW

Erstmals seit fünf Jahren stattete Recep Tayyip Erdogan Brüssel einen offiziellen Besuch ab. Doch im Gegensatz zu längt verblassten Zeiten bester türkisch-europäischer Beziehungen gab es diesmal kein Schulterklopfen und keine lobenden Worte für den türkischen Ministerpräsidenten - wie früher etwa für demokratische Reformen. Vielmehr ließen EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kein gutes Haar am zunehmend anti-demokratischen Regierungsstil ihres Gastes vom Bosporus.

Die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt gegen friedliche Demonstranten, die Instrumentalisierung der Justiz gegen Intellektuelle, Journalisten oder ehemalige Offiziere und zuletzt die massenhaften Strafversetzungen von Polizisten und Staatsanwälten zur Unterbindung von Ermittlungen gegen Korruption zeigten den Europäern das andere Gesicht des religiös-konservativen Politikers. Die undemokratische Seite Erdogans ist geprägt von der fehlenden Fähigkeit, Kritik an seiner Person ebenso zu akzeptieren wie schon den bloßen Verdacht von Korruption gegen sein politisches, aber auch gegen sein privates Umfeld. Wer die Justiz im Zusammenhang mit den Bemühungen um Aufklärung des Korruptionsgeflechts der Vorbereitung eines Putsches gegen ihn beschuldigt, darf sich nicht wundern, wenn seine Gastgeber in Brüssel ihn an die Gewaltenteilung als Fundament der Demokratie erinnern.

Der fast 60-jährige türkische Regierungschef hat sich für die EU von einem Musterknaben zum Problemkind entwickelt. Wurde er bislang noch dafür gelobt, dass er sein Land mit ganz wenigen Blessuren aus der Weltwirtschaftskrise an rettende Ufer manövriert und gleichzeitig den traditionellen Spagat zwischen Demokratie und Islam nicht gefährdet hatte, so muss er sich heute Vorwürfe wie etwa die Schwächung demokratischer Institutionen anhören.

Schade eigentlich, dass sich kaum noch jemand dafür interessiert, wie es um die Zukunft der vor neun Jahren aufgenommenen Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU bestellt ist. Gerade diese Verhandlungen aber geben sowohl der Türkei die Möglichkeit weiterer Reformfortschritte als auch der EU die Möglichkeit, das weitere Abdriften der Türkei von europäischen Werten und Normen zu verhindern. Deshalb darf bei allen Gegensätzen das Tischtuch zwischen Ankara und der EU auf keinen Fall zerschnitten werden - auch und gerade weil das bereits 1963 unterzeichnete Assoziierungsabkommen zu Kompromissen verpflichtet.