Welche Einwanderer wollen wir?
3. März 2015Lange hat sich Deutschland um die Frage der Einwanderung gedrückt. Erst wollte man kein Einwanderungsland sein, nahm Einwanderung einfach nicht als solche zur Kenntnis. Nichts drückte die Haltung des Aufnahmelandes besser aus als der lange gebräuchliche Ausdruck "Gastarbeiter". Ähnlich war es später mit dem Wort "Zuwanderung". Auch dieser Ausdruck klang eher nach einem vorübergehenden Aufenthalt - und genau das war die Absicht. Vor allem die Unionsparteien mieden den Begriff Einwanderung wie der Teufel das Weihwasser, zum Teil bis heute, um ihre Wähler nicht zu verschrecken. Inzwischen braucht man keine Statistik mehr, um zu wissen, dass Deutschland das nach den USA zweithäufigste Ziel für Einwanderer ist: Das Land ist in den vergangenen Jahren sichtlich bunter geworden. Kein ernstzunehmender Politiker bestreitet heute mehr, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.
Der Unterschied zwischen Sein und Wollen
Trotzdem verwechseln nach wie vor viele das Beschreiben des Zustands mit einer Forderung: Zu sagen, Deutschland ist ein Einwanderungsland, heißt ja noch lange nicht, dass es auch ein Einwanderungsland sein SOLL. Zumindest in Politik und Wirtschaft scheint man aber auch diese Frage schon ganz überwiegend mit ja beantwortet zu haben. Dort stellt man bereits die weiterführende Frage, WELCHE Einwanderer das Land haben will. Eine breite gesellschaftliche Debatte darüber ist überfällig. Andere Länder haben viel früher als Deutschland Auswahlkriterien formuliert und wenden sie an. Denn es gibt einen internationalen Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte. Lange hat Deutschland dabei schlecht abgeschnitten. Das hatte oft sprachliche, bürokratische oder auch politische Gründe. Es hatte aber auch damit zu tun, dass sich Deutschland einfach nicht in diesem Wettbewerb sah.
Wer soll draußen bleiben?
Wer diese neue Offenheit begrüßt, sollte sich jedoch über einige Konsequenzen im klaren sein. Erstens: Wer sagt, wen er haben will, sagt damit auch, wen er nicht will. Und hier wird leicht die Anwerbung von Arbeitskräften mit politischem Asyl vermischt, bei dem das wirtschaftliche Interesse des Staates keine Rolle zu spielen hat. Forsche Politiker und Unternehmervertreter haben nämlich schnell erkannt, dass auch und gerade unter Asyl-suchenden Menschen sind, die für die deutsche Wirtschaft sehr wertvoll sein könnten, wenn man sie denn arbeiten ließe. Die Frage, ob sie ein Recht auf politisches Asyl haben, stellt sich nach diesem Argument dann gar nicht mehr. Nur: Was ist mit dem Rest? Der Wert eines Flüchtlings - eines Menschen - bemisst sich dann sehr schnell allein nach seinen beruflichen Qualifikationen.
Gewinner- und Verliererstaaten
Zweitens muss man bedenken, dass der internationale Wettbewerb um die Fähigsten und Klügsten schon lange die Staatenwelt in Verlierer und Gewinner einteilt: Den ärmeren Ländern gehen die Talentiertesten verloren, sie haben durch den brain drain noch weniger Möglichkeiten, bei sich selbst Wohlstand zu schaffen. Die reichen Länder dagegen können auf Dauer auf ein Heer von relativ schlecht bezahlten, aber hochmotivierten Arbeitskräften hoffen. Vor kurzem geisterte eine Zahl durch die Medien: Danach arbeiten in der englischen Stadt Manchester mehr Ärzte aus Malawi als in Malawi selbst. Ob das wirklich so stimmt, sei dahingestellt - doch das prinzipielle Problem existiert. Ironischerweise gleichen europäische Hilfsorganisationen den Ärztemangel in Malawi dann wieder mit europäischen Ärzten ein wenig aus, die mit europäischen Spenden bezahlt werden. Die Ungleichheit zwischen den Staaten verfestigt sich auch in Europa. Wie soll ein Land wie Griechenland wieder auf die Beine kommen, wenn ihm seine fähigsten jungen Leute weglaufen? Das kann zwar kein Argument sein, Arbeitsmobilität zu verhindern, nachdenklich stimmt es aber schon.
Gewaltige Integrationsleistung
Schließlich muss man einen Faktor bedenken, der möglicherweise der wichtigste bei dieser Diskussion ist, und das ist die Akzeptanz: Wenn deutsche Arbeitgeber über einen Fachkräftemangel klagen, steckt dahinter vor allem ihr wirtschaftliches Interesse und hat mit Allgemeinwohl zunächst wenig zu tun. Die Wirtschaft ist froh, wenn sie möglichst viele Leute bekommt, die andere Staaten ausgebildet haben und die tendenziell weniger Ansprüche stellen, als einheimische Arbeitnehmer. So wie die meisten "Gastarbeiter" mitnichten Gäste geblieben sind, werden auch die "Fachkräfte" bleiben, und zwar auch dann, wenn die Konjunktur einbricht.
Und wenn es wirklich das Ziel ist, die in Rente gehenden Babyboomer auf dem Arbeitsmarkt zu ersetzen, sprechen wir von einer Zahl von Einwanderern im zweistelligen Millionenbereich innerhalb nur weniger Jahre. Wer garantiert, dass die Gesellschaft eine so gewaltige Integrationsleistung erbringen kann? Abgesehen davon ist keineswegs klar, dass die entwickelten Volkswirtschaften in Zukunft überhaupt so viele Arbeitnehmer brauchen werden wie heute. Doch Menschen lassen sich nicht so einfach wieder wegschicken.
Das alles spricht nicht gegen die Debatte um Einwanderung - im Gegenteil: Es wird höchste Zeit, dass sie in Deutschland ernsthaft geführt wird. Denn es geht um Weichenstellungen, die die Gesellschaft massiv und auf Dauer verändern werden. Man sollte sich daher sehr gut überlegen, was man tut.