Wowereit geht
26. August 2014Er ist vieles in einem: ein Pragmatiker und Alphatier, einer, der auch mal Türen eintreten kann, wie der frühere SPD-Parteichef Franz Müntefering mal voller Bewunderung zum Besten gab. Vor allem aber war er lange Zeit so etwas wie der Popstar der deutschen Politik, der im Wahlkampf ganz ohne Inhalte auskam - es gab ja sein Konterfei. Das reichte. Und dann war er auch noch die linke partei-interne Alternative zu den "Stones", den Mitte-Rechts-Sozis Steinmeier und Steinbrück in der Bundes-SPD. Richtig vorgedrängelt hatte er sich nie, die bloße Perspektive mal Kanzlerkandidat werden zu können, schmückte schon sein "Super-Wowi"-Image.
Vor allem aber war er der erste offen schwul lebende deutsche Spitzenpolitiker, dessen öffentliches Coming-out bei einem SPD-Parteitag ("Ich bin schwul, und das ist auch gut so!") seine Politkarriere beflügelte und nicht bremste. Wowi war lange Jahre Kult und mit inzwischen 13 Jahren im Amt eine Berliner Institution mit internationalem Bekanntheitsgrad. Jetzt wirft er hin. Zur Halbzeit seiner dritten Amtsperiode. Und das ist auch gut so, weil alternativlos.
Das Flughafen-Projekt - eine Bruchlandung
Berlin hat enorme Schulden und die Arbeitslosenquote im Stadtstaat ist doppelt so hoch wie im Durchschnitt Deutschlands. Doch selbst diesen eigentlich erbärmlichen Zustand verkaufte Wowi mit dem Spruch „Berlin sei arm, aber sexy“ noch als Erfolg. Lange Zeit traf er damit auch genau das Lebensgefühl der Berliner.
Gescheitert ist der ewige Sunnyboy und Party-Löwe nun aber am Groß-Flughafenprojekt Berlin-Brandenburg. Ein Milliardengrab für Steuergelder. Eine nicht genehmigungsfähige Brandschutzanlage verhinderte 2012 die Eröffnung, seitdem explodieren die Kosten, eine Eröffnung ist immer noch nicht in Sicht. Wowereit ist zwar nicht allein verantwortlich für die Bau-Blamage, über die die Welt lacht - Berlin hält 37 Prozent, Brandenburg ebenso, der Bund 24 Prozent der Anteile. Aber Wowereit ist der amtierende Aufsichtsratsvorsitzende. Wenn es der Chef nicht richten kann, wer dann? Er steht in der Verantwortung, und das sehen auch die Berliner so: Er ist inzwischen der unbeliebteste Landespolitiker an der Spree: Eine solche Bruchlandung muss man erst mal hinkriegen!
Berlin ist hip, Wowereit war hip
Wowereits Aufstieg zum Liebling der Massen fällt in die Boom-Jahre Berlins nach dem Mauerfall. Die Stadt mit Geschichte brummt vor allem kulturell. Nicht nur die Hochkultur zieht Besucher weltweit an, auch die Szene elektrisiert die globale Jugend. Musik, Mode, Kunst: Berlin ist ein Magnet und zieht Touristen wie Konferenzbesucher in Scharen an. Wowereit, das bekennende Feierbiest, ist jahrelang Sinnbild der nie enden wollenden Partystimmung in der Stadt mit dem großen Nachholbedarf. Ständig neue Übernachtungsrekorde, wiedereröffnete Museen von Weltrang - Berlin, der Liebling der Tourismusbranche! All die Jubelmeldungen über den neuen Kick der einst geteilten Stadt, tragen Wowereit fast wie von selbst durch seine Glamour-Karriere.
Eine Frage der Verantwortung
Das alles ist Ruhm von gestern, Wowereit wird in der Nachbetrachtung als Bruchpilot von Schönefeld in Erinnerung bleiben. Einen solchen Bauskandal hat es bundesweit noch nie gegeben. Die Gründe für die Kostenexplosion, die Korruption und beispiellose Schlamperei mögen vielschichtig sein, am Ende geht es immer um die politische Verantwortung. Und um die kann sich der Aufsichtsratsvorsitzende nicht drücken. Klaus Wowereit geht mit 61 Jahren in den politischen Vorruhestand, zweieinhalb Jahre vor Ende seiner Amtszeit. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 wäre er in Anbetracht des Flughafen-Fiaskos seiner Partei eine einzige Last. Das Debakel hat solche Dimensionen angenommen, dass es sogar den Bundestagswahlkampf 2017 belasten könnte. Denn dann steht - nach jetziger Prognose - der neue Eröffnungstermin für den Airport an. Wowereit hat nun zur persönlichen Notlandung angesetzt. Gerade noch rechtzeitig - denn der Absturz war nicht mehr ausgeschlossen.