Zwischen Generalverdacht und Realitätsverweigerung
Eigentlich gibt es für den Begriff "Terror" eine klare Definition: Terror ist die systematische Verbreitung von Angst und Schrecken durch Gewaltaktionen.
Demzufolge war also der Angriff mit Axt und Messer auf Bahnreisende in der Nähe von Würzburg vielleicht gar kein Terror. Zwar weiß man inzwischen, dass der angeblich 17-jährige Afghane den IS-Propagandisten ein Video hat zukommen lassen, in dem er eine Gewalttat gegen "Ungläubige" ankündigt. Aber genügt das dem Merkmal der Systematik, wenn ihm die IS-Terroristen doch gar keinen Auftrag erteilt haben - auch wenn sie sich jetzt mit seiner Tat brüsten?
Der Begriff Terror wird konsequent vermieden
Entsprechend bezeichnen die deutschen Medien das, was am Montagabend in einer Regionalbahn bei Würzburg passierte, bis zur Stunde konsequent eben nicht als Terror, sondern als "Attacke" oder "Angriff". Seit der Hinweis im Raum steht, der junge Mann habe sich möglicherweise innerhalb weniger Tage radikalisiert, nachdem er vom Tod eines guten Freundes in seiner Heimat gehört habe, ist auch wieder - wie schon in den ersten Stunden nach der Tat - von einem Amoklauf die Rede.
Das Problem dieser formal richtigen Begriffswahl der Medien: Ein nicht unerheblicher Teil des Publikums folgt dieser Logik nicht mehr. Für den normalen Bürger hat die immer dichtere Abfolge von großen und kleineren Anschlägen durch ausnahmslos muslimische Täter eben sehr wohl eine Systematik - nämlich genau die, die uns auch der IS selbst glauben machen will. Bei vielen wächst daher die Angst (womit der Terror sein Ziel erreicht), dass auch sie selbst Opfer von islamistisch motiviertem Terror werden könnten.
Und wie immer, wenn Angst im Spiel ist, neigt der Mensch zu Irrationalität, was sich besonders gut in den sozialen Medien nachvollziehen lässt. Dort wird am Tag nach der Attacke von Würzburg, wie schon so oft in den vergangenen Monaten, die Grenzöffnung durch Bundeskanzlerin Merkel im September vergangenen Jahres als Quell allen Übels angesehen. Da kümmert es niemand, dass der Täter bereits im Juni 2015 als Flüchtling nach Deutschland kam. Und die Attentäter von Paris und Brüssel allesamt französische und belgische Staatsbürger waren, der Massenmörder von Nizza schon seit Jahren in der Stadt lebte - das Problem also längst hier zu Hause ist.
Generalverdacht hilft nicht weiter
Ganz gleich, wie man zur Politik der offenen Grenzen stehen mag - ein Generalverdacht gegen alle hier angekommenen und schon längst hier lebenden Muslime widerspricht jedem Prinzip der liberalen Bürgerrepublik. Und hilft bei deren Integration - die schon allein aus Gründen der inneren Sicherheit unter allen Umständen gelingen muss - garantiert nicht weiter. Doch solche Überlegungen sind wohl zu komplex für die sozialen Netze - das Ätzen über "Willkommens-Jubler", "Teddybären-Werfer" und "Deutschland-Abschaffer" macht ja auch viel mehr Spaß.
Die gleiche Irrationalität im Übrigen auf der anderen Seite des politischen Spektrums: Getreu dem Motto "Es kann nicht sein, was nicht sein darf" wird jedem, der auf die immer gleiche Religion der Täter hinweist, sofort ein Schlag mit der Nazi-Keule übergezogen. Oder zumindest vorgeworfen, er stärke rechte Parteien mit dem Hinweis auf solche Tatsachen. Und ansonsten nur jede sich bietende Entschuldigung für die Wahnsinnstat gesucht: Der junge Mann sei durch die Umstände seiner Flucht garantiert traumatisiert gewesen. Eben doch ein Amok-Läufer und kein Attentäter. Was man mit einer guten Therapie sicherlich hätte verhindern können. Der normale Bürger quittiert solcherlei geistigen Verrenkungen nur noch mit Fassungslosigkeit.
Wenn der Täter zum Opfer wird
Den Vogel schoss die frühere grüne Bundesministerin Renate Künast ab: Keine zwei Stunden nach der Tat problematisierte sie via Twitter, dass der Täter von der Polizei erschossen und nicht nur festgenommen worden sei. Frei von jedem Detailwissen über die konkreten Umstände beim Einsatz vor Ort stand der Täter plötzlich als Opfer dar. Der Shitstorm, den sie im Netz erntete, sei ihr von Herzen gegönnt!
In den etablierten Medien kommt es bestenfalls in den Leserbrief- bzw. Userkommentar-Spalten zum Ausdruck, in den sozialen Medien ist es mit Händen greifbar: Die deutsche Gesellschaft ist seit dem vergangenen Herbst so tief gespalten wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Situation nach einem großen Terroranschlag mit vielen Toten in Deutschland möchte man sich gar nicht vorstellen. Vom " United we stand, divided we fall " anderer Nationen ist derzeit jedenfalls nichts sichtbar.
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