Calgary kann Olympia - aber will es auch?
13. November 2018Es hat sich ein enger Kreis um Naheed Nenshi gezogen. Der Bürgermeister von Calgary ist umringt von Reportern, die ihn bedrängen, physisch und mit ihren Fragen. "Haben Sie noch einen Hasen, den Sie aus dem Hut zaubern können, um die Bewerbung zu retten?", will eine Reporterin wissen. Es ist eine gute Frage, denn beinahe wäre die Olympia-Bewerbung Calgarys, für die Naheed Nenshi unaufhörlich wirbt, schon vorzeitig an den Kosten gescheitert. Doch der Bürgermeister lächelt nur." Wissen Sie, ich bin Fußballfan. In der kanadischen Liga fällt das entscheidende Tor oft erst in den letzten Sekunden des Spiels. Das heißt übertragen: Ich bleibe weiter optimistisch, dass hier etwas möglich ist."
Man könnte das als Durchhalteparole eines Politikers abtun, der nicht viel sagen will. Doch in der Tat konnte das Lager der Olympia-Befürworter einen Etappensieg feiern: In letzter Minute einigten sich Stadt, Provinz und Staat auf einen Finanzierungsplan. Und auch eine enge Abstimmung im Stadtrat ließ die Bewerbung weiterleben - vorerst.
Nun haben die Bürger das Wort. Alle Wahlberechtigten der rund 1,3 Millionen Einwohner der viertgrößten kanadischen Stadt dürfen ihre Meinung zu möglichen Olympischen Winterspielen in Calgary im Jahr 2026 abgeben. Die Wahllokale schließen in der Nacht auf Mittwoch um vier Uhr MEZ, zwei Stunden später werden Ergebnisse erwartet. Der Volksentscheid ist zwar nicht bindend, spielt aber dennoch eine große Rolle: ein klares "No" der Bürger und die Politik kann gar nicht anders, als die Bewerbung zurückzuziehen. Es steht viel auf dem Spiel in Calgary.
"Ein außergewöhnlicher Deal für Calgary"?
Zunächst einmal für Calgary, Kanada und den kanadischen Sport. "Dies ist ein außergewöhnlicher Deal für Calgary. Für eine relativ kleine Summe bekommen wir sehr viel Ertrag", ist Naheed Nenshi überzeugt. Er ist der erste muslimische Bürgermeister einer nordamerikanischen Metropole und gibt mit Schal und Sportdress gerne den volksnahen Sportfan. Nenshi zieht in seiner Argumentation gerne eine historische Parallele: Als Calgary im Jahr 1981 die Olympischen Winterspiele 1988 erhielt, habe die Metropole gerade die schwerste Wirtschaftskrise der Stadt-Geschichte erlebt. "Olympia war damals eines von mehreren Werkzeugen, mit dem wir uns damals aus der Krise gezogen haben." Olympia als Konjunktur-Motor? Man darf diese These bezweifeln.
Viele Ausrichter der vergangenen Jahre kamen mit einem dicken Minus aus den Spielen. Athen, Rio oder Sotschi sind dabei nur die drastischsten Beispiele. Natürlich sehen viele Städte Olympia auch als Investment zum Beispiel in Tourismus oder Infrastruktur und der globale Werbewert ist nicht zu unterschätzen. Der riesige Rahmen (in Pyeongchang 2018 waren es knapp 3000 Athleten, 102 Wettbewerbe und 13 Wettkampf-Komplexe) und die gewaltigen Ausgaben (11,5 Milliarden Euro Gesamtkosten in Pyeongchang) schrecken aber viele Interessenten ab - und daran hat auch das große Reform-Projekt von IOC-Präsident Thomas Bach, die "Olympic Agenda 2020", die eigentlich ein Entgegenkommen in Richtung der Ausrichter sein sollte, nicht wirklich etwas geändert.
"Das IOC hat nicht kapiert, wo das Problem liegt"
Rom, Baku, Doha, Barcelona, Krakau, Lemberg, München, St. Moritz, Stockholm, Oslo, Hamburg, Boston, Budapest, Graz, Innsbruck, Sion, Erzurum - allein seit 2012 scheiterten 17 Bewerberstädte vorzeitig, viele aus finanziellen Gründen, einige aber auch am "Nein" der befragten Bürger. Dazu kommen weitere Städte, die Olympia-Pläne bereits in einer frühen Phase verwarfen oder aber aus taktischen Gründen zugunsten einer erneuten Bewerbung aufgaben. Die Ablehnung Olympischer Spiele in zahlreichen Ländern ist zu einem großen Problem des IOC geworden. Das Weltfest des Sports wird vom Bestseller zum Ladenhüter.
Wolfgang Zängl hat eine klare Position, warum. "Das IOC hat sich nicht auf die Gegner von Olympia zubewegt. Der Gigantismus geht weiter und das IOC hat nicht kapiert, wo da Problem liegt", sagt der Ökologe und Buchautor, der einer der führenden Köpfe der "Nolympia"-Initiative gegen Olympische Winterspiele in München und Garmisch-Partenkirchen war, im DW-Gespräch. Man habe sich mit anderen an Olympischen Spielen interessierten Regionen vernetzt und sei stets auf das gleiche Muster gestoßen: "Die Kosten werden immer zu gering angesetzt. In München hatte man zum Beispiel nur 33 Millionen Euro für die Sicherheitsmaßnahmen eingeplant, dabei waren es 2010 in Vancouver 700 Millionen Dollar. Oft stimmt auch die Angabe der bereits existierenden Sportstätten nicht. Da ist einfach viel Vertrauen verloren gegangen."
Was Olympia wirklich kostet, zeigt sich immer erst hinterher
Dass Zängl Recht hat, belegt einerseits die Vergangenheit: Seit 1968, zeigt eine Studie, blieb kein Olympia-Ausrichter mehr im geplanten Kostenrahmen, in Sotschi lagen die tatsächlichen Ausgaben sogar um 289 Prozent über der Kalkulation (sagenhafte 45 Milliarden Euro). Andererseits wirkt sich dieser Vertrauensverlust bis in die Gegenwart aus: So kämpfen derzeit alle drei Bewerberstädte für Olympia 2026 um das Überleben ihrer Kandidatur. In Stockholm drehte der Stadtrat den öffentlichen Geldhahn zu. Eine erfolgreiche Bewerbung ist damit so gut wie ausgeschlossen. Mailand und Cortina d'Ampezzo haben ein ähnliches Problem: finanzielle Zusagen der Regierung fehlen, dazu gibt es Gegenwind von Umweltschützern. Und Calgary? Man hangelt sich bislang durch. Mehrfach stand die Bewerbung auf der Kippe. Und die auf nur rund 3,3 Milliarden Euro veranschlagten Gesamtkosten erscheinen vielen zu Recht als etwas optimistisch, schließlich war es in Pyeongchang in etwa das Vierfache.
Deswegen formiert sich Widerstand: "Wir wissen natürlich, dass Calgary die Spiele ausrichten kann. Aber es geht darum, ob wir es sollten und überhaupt wollen", sagt Erin Waite von der Initiative "No Calgary Olympics". Sie sieht klare Unterschiede zu den Spielen von 1988, die vielen Kanadiern in guter Erinnerung sind. "Die Größe der Spiele hat sich komplett verändert. Auch das Verhältnis der Gastgeberstadt zum IOC ist anders. Damals brachte Olympia Calgary viele Vorteile und die Stadt hat profitiert. All das trifft jetzt nicht mehr zu."
Und so ist die Stimmung in der Stadt, in deren Westen bei klarer Sicht die schneebedeckten Kuppen der Rocky Mountains aufragen, gespalten. Für Olympia? Gegen Olympia? Eine Stadt mit großer (Winter-)Sport-Tradition steht vor einer schweren Frage. Und so baut Scott Hutcheson, Chef der Calgary-Bewerbung, schon mal vor. "Wenn die Bürger 'No' sagen, werden wir diesen Wunsch der Gesellschaft respektieren und werden dafür sorgen, dass wir daraus die nötigen Lehren ziehen." Fraglich bleibt, ob das auch für das IOC gilt, für das es in Calgary also ebenfalls um viel geht. Im Juni 2019 wird in Lausanne entschieden, wohin die Winterspiele 2026 gehen werden. Wenn dann überhaupt noch ein Kandidat übrig ist.