Komponist und Weltbürger: Hans Werner Henze ist 75
10. November 2001Anzeige
Hans Werner Henze feierte seinen 75. Geburtstag - ausgerechnet in Hamburg, wo ihm vor 33 Jahren das Etikett eines Skandalkünstlers verpasst wurde. Heute wird Henze als Guru für Neue Musik von vielen jungen Dirigenten und Musikern verehrt. Neben zahlreichen Opern und Sinfonien hat der vielseitig Begabte auch abendfüllende Ballett-Partituren geschaffen. Henze gründete die "Münchener Biennale für Neues Musiktheater" und trat als politisch engagierter Künstler in Erscheinung.
Dass er der wohl politischste Kopf unter den deutschen Komponisten der Gegenwart geworden ist, hat ohne Zweifel etwas mit seiner Kindheit und der Mutation seines Vaters vom engagierten Sozialdemokraten zum fanatischen Nazi zu tun. Henze schlug sich auf die Seite der Außerparlamentarischen Opposition und des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds, trat in die Kommunistische Partei Italiens ein und vertonte Brecht ebenso wie Ho Tschi Minh.
Dem Guerillaführer Ernesto "Che" Guevara widmete Henze sein Oratorium "Das Floß der Medusa", dessen geplante Uraufführung 1968 in Hamburg einen der größten Kunstskandale der Nachkriegszeit auslöste: Der Chor des Berliner Senders RIAS weigerte sich, unter einer von SDS-Studenten angebrachten roten Fahne zu singen. Es kam zu Tumulten im Publikum und die Polizei schritt ein. Henze, der das Orchester dirigieren sollte, verließ entsetzt die Messehalle im Park Planten un Blomen. Die Uraufführung des "Floßes der Medusa" kam dann 1971 in Wien zu Stande. In Hamburg aber wurde das Werk erst zwei Wochen vor Henzes 75. Geburtstag zum ersten Mal aufgeführt - mit großem Erfolg und guten Besprechungen.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hat Henze sukzessive seinen Frieden mit der von ihm bekämpften kapitalistischen Gesellschaft gemacht. Nicht vollständig, aber doch so weit, dass er vor zehn Jahren aus der Hand des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker das Bundesverdienstkreuz und im Oktober vergangenen Jahres in Tokio von einem Mitglied der Kaiserfamilie den mit umgerechnet 270.000 Mark dotierten japanischen Kunstpreis "Praemium Imperiale Award" entgegen nahm. Die Ehrungen galten einem der unbestreitbar bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Mehr als 130 Werke kennzeichnen seine künstlerische Schaffenskraft. Erst vor knapp vier Jahren wurde seine neunte Symphonie in Berlin mit großem Erfolg uraufgeführt, derzeit arbeitet er an seiner "Zehnten", die im kommenden Jahr in Luzern herauskommen soll.
Vor wenigen Tagen ist Henzes neues Orchesterstück "Scorribanda Sinfonica" ("Sinfonischer Raubzug") bei seiner Uraufführung in Hamburg mit viel Beifall bedacht worden. Henze hatte das Werk im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks geschrieben, der ihn zum 75. Geburtstag mit einer großen Werkschau ehrte. Aus diesem Anlass kam Henze auch aus seiner römischen Wahlheimat in die Hansestadt.
Das Orchesterwerk "Scorribanda" geht auf das Tanzdrama "Maratona di danza" zurück, das Henze 1955 gemeinsam mit dem italienischen Theater- und Filmregisseur Luchino Visconti schuf und das die brutalen Tanz-Marathons der italienischen Vorstadtjugend der Nachkriegszeit zum Thema hatte. Für das Jahr 2001 hat Henze seine Musik von allen Jazz-Partikeln befreit und sie in einen packenden sinfonischen Diskurs überführt. Henze hatte das Werk dem Komponisten-Freund Peter Ruzicka gewidmet, der den "eminent schwierigen Reißer" (Ruzicka), in dem sich der Held zu Tode tanzt, am Pult des NDR-Sinfonieorchesters mit markanten Gesten aus der Taufe hob. Ruzicka, von 2002 an Leiter der Salzburger Festspiele, wird im Sommer 2003 in Salzburg auch Henzes neue Oper "L'Upupa oder der Triumph der Sohnesliebe" herausbringen, die mit einer alten arabischen Parabel spielt.
Begonnen hatte Hans Werner Henzes Karriere nach frühen Jugendkompositionen und Studien bei Wolfgang Fortner in Heidelberg und 1948 bei René Leibowitz in Paris zunächst am Theater, in Konstanz und Wiesbaden. Bald wandte er sich von der so genannten Darmstädter Schule, deren avantgardistische Kompositions-Ferienkurse er schon 1953 alls "diktatorisch-orthodox" ablehnte, ab und entfloh in sein Traumland Italien. Henze überwarf sich auch mit dem "Dreigestirn" der Avantgarde: Stockhausen, Pierre Boulez und Luigi Nono. In seiner "Sehnsucht nach dem vollen, wilden Wohlklang" wollte er sich nicht auf die Dogmen der Neuen Musik festlegen lassen. Statt einen völligen Bruch mit der Tradition der europäischen Musik zu fordern, setzte sich Henze für ihre harmonische Fortsetzung ein.
Der große Durchbruch kam 1965 mit der Oper "Der junge Lord", die in enger Zusammenarbeit mit der Dichterin Ingeborg Bachmann entstand. Ein Jahr später wurden "Die Bassariden" in Salzburg bejubelt. Zuvor hatten schon "Boulevard Solitude" von 1952, "König Hirsch" von 1956, "Der Prinz von Homburg" von 1960 und die "Elegie für junge Liebende" von 1961 Henzes Ruf als Opernkomponist gefestigt. Sein Stil orientierte sich an Strawinsky, Hindemith oder Schönberg, wobei er auch Jazz, Unterhaltungs- oder Barockmusik mit einbezieht. Kritiker stuften ihn als "Postmodernen" ein. Immer wieder tat er sich mit Autoren zusammen, so 1973 mit Hans Magnus Enzensberger in "La Cubana", in der er seine desillusionierten Vorstellungen vom Kommunismus auf Kuba reflektierte, oder 1974 mit Edward Bond in "Wir erreichen den Fluss" und in "Die englische Katze", uraufgeführt 1983 in Schwetzingen.
Fünf Jahre später rief Henze, der auch immer wieder selbst ans Dirigentenpult trat, die Münchner Biennale ins Leben, in der seither zeitgenössisches Musiktheater gepflegt und entwickelt wird.
Dass er der wohl politischste Kopf unter den deutschen Komponisten der Gegenwart geworden ist, hat ohne Zweifel etwas mit seiner Kindheit und der Mutation seines Vaters vom engagierten Sozialdemokraten zum fanatischen Nazi zu tun. Henze schlug sich auf die Seite der Außerparlamentarischen Opposition und des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds, trat in die Kommunistische Partei Italiens ein und vertonte Brecht ebenso wie Ho Tschi Minh.
Dem Guerillaführer Ernesto "Che" Guevara widmete Henze sein Oratorium "Das Floß der Medusa", dessen geplante Uraufführung 1968 in Hamburg einen der größten Kunstskandale der Nachkriegszeit auslöste: Der Chor des Berliner Senders RIAS weigerte sich, unter einer von SDS-Studenten angebrachten roten Fahne zu singen. Es kam zu Tumulten im Publikum und die Polizei schritt ein. Henze, der das Orchester dirigieren sollte, verließ entsetzt die Messehalle im Park Planten un Blomen. Die Uraufführung des "Floßes der Medusa" kam dann 1971 in Wien zu Stande. In Hamburg aber wurde das Werk erst zwei Wochen vor Henzes 75. Geburtstag zum ersten Mal aufgeführt - mit großem Erfolg und guten Besprechungen.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hat Henze sukzessive seinen Frieden mit der von ihm bekämpften kapitalistischen Gesellschaft gemacht. Nicht vollständig, aber doch so weit, dass er vor zehn Jahren aus der Hand des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker das Bundesverdienstkreuz und im Oktober vergangenen Jahres in Tokio von einem Mitglied der Kaiserfamilie den mit umgerechnet 270.000 Mark dotierten japanischen Kunstpreis "Praemium Imperiale Award" entgegen nahm. Die Ehrungen galten einem der unbestreitbar bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Mehr als 130 Werke kennzeichnen seine künstlerische Schaffenskraft. Erst vor knapp vier Jahren wurde seine neunte Symphonie in Berlin mit großem Erfolg uraufgeführt, derzeit arbeitet er an seiner "Zehnten", die im kommenden Jahr in Luzern herauskommen soll.
Vor wenigen Tagen ist Henzes neues Orchesterstück "Scorribanda Sinfonica" ("Sinfonischer Raubzug") bei seiner Uraufführung in Hamburg mit viel Beifall bedacht worden. Henze hatte das Werk im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks geschrieben, der ihn zum 75. Geburtstag mit einer großen Werkschau ehrte. Aus diesem Anlass kam Henze auch aus seiner römischen Wahlheimat in die Hansestadt.
Das Orchesterwerk "Scorribanda" geht auf das Tanzdrama "Maratona di danza" zurück, das Henze 1955 gemeinsam mit dem italienischen Theater- und Filmregisseur Luchino Visconti schuf und das die brutalen Tanz-Marathons der italienischen Vorstadtjugend der Nachkriegszeit zum Thema hatte. Für das Jahr 2001 hat Henze seine Musik von allen Jazz-Partikeln befreit und sie in einen packenden sinfonischen Diskurs überführt. Henze hatte das Werk dem Komponisten-Freund Peter Ruzicka gewidmet, der den "eminent schwierigen Reißer" (Ruzicka), in dem sich der Held zu Tode tanzt, am Pult des NDR-Sinfonieorchesters mit markanten Gesten aus der Taufe hob. Ruzicka, von 2002 an Leiter der Salzburger Festspiele, wird im Sommer 2003 in Salzburg auch Henzes neue Oper "L'Upupa oder der Triumph der Sohnesliebe" herausbringen, die mit einer alten arabischen Parabel spielt.
Begonnen hatte Hans Werner Henzes Karriere nach frühen Jugendkompositionen und Studien bei Wolfgang Fortner in Heidelberg und 1948 bei René Leibowitz in Paris zunächst am Theater, in Konstanz und Wiesbaden. Bald wandte er sich von der so genannten Darmstädter Schule, deren avantgardistische Kompositions-Ferienkurse er schon 1953 alls "diktatorisch-orthodox" ablehnte, ab und entfloh in sein Traumland Italien. Henze überwarf sich auch mit dem "Dreigestirn" der Avantgarde: Stockhausen, Pierre Boulez und Luigi Nono. In seiner "Sehnsucht nach dem vollen, wilden Wohlklang" wollte er sich nicht auf die Dogmen der Neuen Musik festlegen lassen. Statt einen völligen Bruch mit der Tradition der europäischen Musik zu fordern, setzte sich Henze für ihre harmonische Fortsetzung ein.
Der große Durchbruch kam 1965 mit der Oper "Der junge Lord", die in enger Zusammenarbeit mit der Dichterin Ingeborg Bachmann entstand. Ein Jahr später wurden "Die Bassariden" in Salzburg bejubelt. Zuvor hatten schon "Boulevard Solitude" von 1952, "König Hirsch" von 1956, "Der Prinz von Homburg" von 1960 und die "Elegie für junge Liebende" von 1961 Henzes Ruf als Opernkomponist gefestigt. Sein Stil orientierte sich an Strawinsky, Hindemith oder Schönberg, wobei er auch Jazz, Unterhaltungs- oder Barockmusik mit einbezieht. Kritiker stuften ihn als "Postmodernen" ein. Immer wieder tat er sich mit Autoren zusammen, so 1973 mit Hans Magnus Enzensberger in "La Cubana", in der er seine desillusionierten Vorstellungen vom Kommunismus auf Kuba reflektierte, oder 1974 mit Edward Bond in "Wir erreichen den Fluss" und in "Die englische Katze", uraufgeführt 1983 in Schwetzingen.
Fünf Jahre später rief Henze, der auch immer wieder selbst ans Dirigentenpult trat, die Münchner Biennale ins Leben, in der seither zeitgenössisches Musiktheater gepflegt und entwickelt wird.
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