Konservative bleiben in Spanien stärkste Kraft
20. Dezember 2015Laut Hochrechnung musste die konservative Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy erhebliche Stimmverluste hinnehmen. Nach Auszählung von mehr als 70 Prozent der Stimmen verlor sie mit 28,3 Prozent die absolute Mehrheit, wird aber stärkste Kraft im Madrider Parlament bleiben. Auf Platz zwei liegt die sozialistische PSOE mit 22,5 Prozent. Sie hatte in den ersten Prognosen noch hinter dem Linksbündnis Podemos auf dem dritten Platz gelegen. Podemos erhielt laut Hochrechnung 20,5 Prozent der Stimmen, die liberale Partei Ciudadanos kam auf 13,7 Prozent.
Rajoys Konservative wurden wie erwartet abgestraft. Bei der vergangenen Wahl im Jahr 2011 hatte die Volkspartei mit fast 45 Prozent noch das beste Ergebnis ihrer Parteigeschichte erzielt und 186 der 350 Parlamentssitze errungen. Nun dürfte die PP nur noch auf etwa 114 bis 124 Abgeordnetensitze kommen und damit mehr als ein Drittel ihrer Mandate einbüßen. Für die absolute Mehrheit sind 176 Sitze erforderlich.Durch den Einzug von Podemos und Ciudadanos ins Parlament wird wie erwartet das traditionelle spanische Zwei-Parteien-System gesprengt.
Keine eindeutige Mehrheit im Parlament
Bestätigt sich der Trend der ersten Hochrechnung, ist die PP als weiterhin stärkste politische Kraft entweder auf die Tolerierung einer Minderheitsregierung oder einen Koalitionspartner angewiesen. Dass die basisdemokratisch organisierte Linkspartei Podemos den Konservativen Rajoy unterstützt, gilt jedoch als ausgeschlossen. Und auch der Liberale Rivera hat bereits angekündigt, dass er weder die Konservativen noch die Sozialisten unterstützen werde. Ein Linksbündnis von PSOE und Podemos kommt allerdings auch nicht auf eine ausreichende Mehrheit. Spanien dürfte somit vor einer schwierigen Regierungsbildung stehen. Die Verfassung setzt keine Frist, bis wann nach einer Wahl eine neue Regierung gebildet sein muss. Analysten sagen wochenlange Verhandlungen zwischen den Parteien voraus, die möglicherweise erfolglos bleiben und somit eine weitere Wahl nötig machen könnten.
"Wir stehen an der Schwelle einer neuen demokratischen Transition, einer neuen Ära", hatte Rivera bei der Stimmabgabe in Kataloniens zweitgrößter Stadt L'Hospitalet de Llobregat vorausgesagt. Transition (Übergang) steht in Spanien für die Zeit nach dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 und der politischen Wende von 1982. Seitdem wechselten sich PSOE und PP an der Regierungsspitze ab.
Altparteien in der Kritik
Aus Sicht vieler Spanier sind die beiden Altparteien verantwortlich für die derzeitige Wirtschaftsmisere und ähnlich stark verstrickt in Korruptionsaffären. Obwohl es in Spanien wirtschaftlich langsam wieder aufwärts geht, liegt die Arbeitslosenrate nach amtlichen Angaben immer noch bei über 20 Prozent. Bei den Jugendlichen haben sogar mehr als die Hälfte keinen Job. Viele Menschen leiden unter den Folgen der rigiden Kürzungs- und Sparpolitik unter Rajoy, immer mehr drohen in die Armut abzurutschen.
"Diese Horrorjahre haben etwas Gutes: viele Wähler haben angefangen, sich für Politik zu interessieren", sagte Jonathan Pozo, ein 27-jähriger Arbeitsloser und Podemos-Unterstützer, nach der Stimmabgabe in L'Hospitalet de Llobregat. Die Partei Podemos erzielte schon bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai sensationelle Erfolge, als mit ihr verbündete Kandidatinnen unter anderem die Rathäuser in Madrid und Barcelona eroberten.
Rajoys Taktik geht nicht auf
Angesichts seiner jung-dynamischen Herausforderer hatte Rajoy im Wahlkampf vor allem auf die elf Millionen Stimmberechtigten gesetzt, die älter sind als 60 Jahre - fast ein Drittel der Wählerschaft. Er versprach, die Staatsfinanzen weiter zu sanieren und warnte vor "Experimenten", die - wie mit der Regierung aus Syriza und rechtspolitischer Anel in Griechenland - ein "enormer Fehler" seien.
Bei der Stimmabgabe in Madrid hatte der Regierungschef erklärt, es handele sich um eine "wichtige Entscheidung", daher wünsche er sich eine hohe Wahlbeteiligung. Mit rund 58 Prozent lag die Beteiligung aber nur leicht über der im Wahljahr 2011. Die Abstimmung, zu der rund 36,5 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen waren, verlief bei ungewöhnlich milder Witterung ohne Zwischenfälle.
ww/sti (AFP, dpa, Reuters)