Das süße Geld aus dem Silicon Valley
21. Januar 2019Ein Blick in die sozialen Netzwerke am Montagmorgen verriet: Die von Facebook-Co-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg auf der "Digital-Life-Design"-Konferenz (DLD) in München vorgestellte Charme-Offensive in Deutschland ist - zumindest zum Teil - nach hinten losgegangen. Das US-Unternehmen, das spätestens seit dem Cambridge-Analytica-Datenskandal im Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl 2016 mit massiven Imageproblemen zu kämpfen hat, habe nach einem Jahr des Wandels in Sachen Umbau "noch eine Menge Arbeit" vor sich, so Sandberg im Gespräch mit der ARD.
Unter anderem seien in Deutschland, das laut Sandberg "beim Datenschutz eine führende Rolle in der Welt" einnimmt, Verbesserungsmaßnahmen geplant. Neben einer strategischen Partnerschaft mit dem Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik (BSI) kündigte Sandberg die Finanzierung eines Forschungszentrums für Ethik und Künstliche Intelligenz (KI) in Deutschland an.
Über fünf Jahre sollen umgerechnet 6,6 Millionen Euro in die Arbeit des noch im Aufbau befindlichen Instituts der Technischen Universität München fließen. Dort sollen unter anderem Fragen zur Robustheit des maschinellen Lernens gegenüber Hackerangriffen und zur Fairness, Transparenz und Erklärbarkeit von Algorithmen interdisziplinär erforscht werden - nach Angaben des Instituts ohne Auflagen durch Facebook. Zudem sucht das Zentrum nach weiteren Geldgebern, auch in Deutschland.
"Keine Satire, aber sehr lustig"
Dennoch: Dass ausgerechnet das von Datenlecks, Vorwürfen des mangelnden Durchgreifens gegenüber Desinformation und Wahlmanipulation sowie millionenfachem Nutzerschwund geplagte Facebook ein Ethik-Institut sponsern soll, passt für viele nicht zusammen. Die Nachricht sei "offenbar keine Satire, aber sehr lustig", twittert etwa der Journalist und Autor Dirk von Gehlen. Andere sehen die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr.
Hinzu kommt, dass das Online-Netzwerk bereits seit September mit "Rosetta", einem eigenen KI-System, arbeitet, das unter anderem erkennen soll, wenn Nutzer kübelweise Hass ins Netz schütten. Diese "Hate Speech" soll den Zehntausenden nach wie vor menschlichen Social-Media-Moderatoren des US-Unternehmens vorgelegt werden. "Natürlich ist das ein Widerspruch. Sie setzen eine Technologie ein, die noch nicht ausgereift ist, von der sie selbst sagen, dass es noch Probleme in der Anwendung gibt", sagt Chris Köver, Redakteurin bei netzpolitik.org.
Zwar sei es nicht überraschend, dass Facebook vor dem Hintergrund seines geschädigten Rufs mit Hochdruck an automatisierten Lösungen für die Moderation von Inhalten arbeite. Dass hinter der Finanzierung des Münchner Instituts für KI und Ethik mehr steckt als Marketing, bezweifelt sie allerdings. "Wenn Facebook ein Interesse daran hätte, dass die Forschung vorankommt, wäre das ein eklatanter Widerspruch, denn das Unternehmen lässt ja bekanntermaßen keine Forscherinnen und Forscher in seine Daten hereinschauen", sagt Köver. Es gebe viele Leute, die gerne mit dem Facebook-Algorithmus forschen und untersuchen würden, ob und wie dort Diskriminierung stattfindet oder wie der Filter funktioniert. "Facebook hält aber alles unter Verschluss und behindert somit die freie Forschung."
Die Charme-Offensive des Konzerns in Deutschland unter seinem Chef Mark Zuckerberg sei vor allem der Versuch eines Entgegenkommens, "bevor weitere für Facebook schädliche oder einschränkende Gesetze erlassen werden".
Gekaufte Forschung?
Auch für Köver ist fraglich, wie unabhängig das Münchner Institut vor dem Hintergrund der Facebook-Finanzierung arbeiten kann. "Man wird beobachten müssen, was da passiert. Wird es dort auch kritische Forschung geben oder führt das zu einer Art Selbstzensur?"
Ähnliche Fragen stellt sich Alexander Filipović, Professor für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München: "In dem Moment, in dem man 7,5 Millionen Dollar annimmt, hat man Facebook etwas zu verdanken. Drittmittel sind nun einmal leider die zentrale Währung im Universitätsgeschäft." Dabei gehe es weniger darum, ob das Institut zu unabhängigen Ergebnissen komme, so der Medienethiker, sondern vielmehr um eine potenzielle Signalwirkung, um "die große Perspektive, die sich für eine ganze Universität zeigt, wenn ich sozusagen mit solchen Firmen ins Bett gehe."
Zwar wolle er Facebook nicht absprechen, mit der Partnerschaft gute Ziele zu verfolgen. Dennoch sei der Konzern ein heikler Partner. "Es geht um viel Geld, aber eben auch um die Macht von Facebook, darum, dass sie ein prekäres Geschäftsmodell haben, dass sie schwierig zu regulieren sind und auch gegen Regulierung Lobbyismus betreiben", so Filipović. Wirtschaftliche Interessen des Konzerns, auch vor dem Hintergrund des Wettlaufs um die Vorherrschaft im Bereich Künstlicher Intelligenz, schließt er nicht aus. "Wenn man in Europa Fuß fassen möchte, wird eine vertrauenswürdige, ethische KI vielleicht auch zu einem marktentscheidenden Moment."
"Keine Bedenken"
Für Christoph Lütge, Professor am Stiftungslehrstuhl für Wirtschaftsethik der TU München und künftiger Direktor des neuen Instituts, sind die Intentionen des Online-Netzwerks zweitrangig. "Wenn man mit diesem Geld unabhängige Forschung betreibt, aus der etwas herauskommt, das Verbesserungen für Menschen bringt, dann kann ich daran nichts Schlechtes finden - auch wenn damit einhergeht, dass das Unternehmen seine Reputation in diesem Bereich verbessert. Das passiert aber natürlich nur, wenn man etwas an den Mechanismen im Unternehmen ändert."
Den Vorwurf, die Zusammenarbeit mit Facebook setze die Unabhängigkeit der Forschung aufs Spiel, weist er zurück. "Es war für mich ganz klar, dass ich das nur machen kann, wenn es keinerlei Auflagen oder Vorgaben vonseiten des Unternehmens gibt, etwa im Hinblick auf Veröffentlichungen. Insofern habe ich überhaupt keine Bedenken, auch wenn Facebook vorläufig der alleinige Geldgeber ist."
Lütge ist optimistisch, dass sich weitere Sponsoren finden werden. Das Thema Künstliche Intelligenz und Ethik sei "so wichtig, aus Sicht von Unternehmen, aber auch von Gesellschaft und Politik." Die Finanzierung von ausländischen Forschungsstätten durch Silicon-Valley-Giganten könnte in diesem Kontext aus Lütges Sicht sogar als Impulsgeber dienen - und sich als Phänomen etablieren. "Das ist insofern gut, als man sich nicht nur auf die Player im nationalen Rahmen verlassen muss, die immer dieselben sind, gerade in Deutschland, wo wir beobachten, dass sich nicht viel bewegt." Diesen Unternehmen würde dann deutlich werden, in welchen Bereichen sie sich stärker engagieren müssten.
"Europa ist ein schwieriger Markt"
Auch Medienethiker Filipović geht davon aus, dass die Facebook-Kooperation mit der TU München nicht die letzte Partnerschaft dieser Art sein wird. Er sieht das aber kritisch - auch vor dem Hintergrund, dass dem Unternehmen aus von der Europäischen Union und den USA Auflagen drohen.
"Europa ist für diese Unternehmen ein wichtiger, aber auch ein schwieriger Markt, weil wir Europäer gegen diese Plattformen und ihre Datenschutz-Politik ankämpfen. Das merken sie natürlich und deswegen reagieren sie entsprechend", so Filipović. Gleichzeitig räumt er ein, dass man "die großen ethischen Probleme nicht gegen die Wirtschaft bereinigen" könne. Wenn man die Unternehmen "nicht als Akteure mit im Boot hat, kann man die Welt nicht verändern."
Was die Forschungsergebnisse des "Instituts für Ethik in der Künstlichen Intelligenz" der TU München verändern werden, etwa mit Blick auf die künftige KI-Regulierung, wird sich demnächst zeigen. In einigen Monaten nimmt das Zentrum seine Arbeit auf - unter dem kritischen Blick der Öffentlichkeit.