Kopelew-Preis: Ehrung für Russen und Ukrainer
19. April 2015Der Kreis der Träger des renommierten Preises für Frieden und Menschenrechte, benannt nach dem legendären Dissidenten Lew Kopelew, war diesmal bunter denn je. Insgesamt gab es vier Preisträger mit ukrainischen und russischen Wurzeln.
Geehrt wurde zum einen Ruslana, die Eurovision-Gewinnerin von 2004. Die Tochter einer Russin und eines Ukrainers war Mutter Courage der Maidan-Bewegung in Kiew. Zweiter Preisträger war der eher nachdenkliche Menschenrechtler und Korruptionsgegner Jewgenij Sacharow aus Charkiw, ein Ukrainer russischer Abstammung.
Dritter im Bunde war der spöttische Eduard Uspenskij. Er ist einer von Russlands bekanntesten Kinderbuchautoren und Schöpfer der Kultfiguren Krokodil Gena und Tscheburaschka, mit denen mehrere Generationen russischer wie ukrainischer Kinder aufgewachsen sind. Als Vierter wurde Andrej Makarewitsch ausgezeichnet, Pionier des Sowjetrocks und Bandleader der legendären "Maschina vremeni" ("Zeitmaschine"). Dieser war bei der Preisverleihung in Köln allerdings nicht anwesend.
Gegen Nationalismus
Diese Vier könnten unterschiedlicher nicht sein - und haben doch etwas gemeinsam: Sie lassen sich weder vom Nationalismus anstecken, noch von Propaganda mitreißen. Mutig weisen sie darauf hin, wie verbrecherisch und letztendlich absurd es ist, zwei Völker aufeinander zu hetzen.
"Dass Russen und Ukrainer heute Krieg gegeneinander führen, hätte Lew Kopelew das Herz zerrissen", meinte der Vorsitzende des Lew-Kopelew-Forums Fritz Pleitgen, der beide Länder als ARD-Korrespondent mehrfach bereist hat. Lew Kopelew "wäre mit der Auswahl der Preisträger zufrieden gewesen", ist sich Pleitgen sicher. Der "wortgewaltige Europäer" - so der Philosoph Jürgen Habermas über Kopelew - glaubte immer an die Macht der Zivilgesellschaft, besonders in Zeiten politischer Krisen.
Krim-Annexion - eine "Schandtat"
Drei Monate verbrachte Ruslana Lyschytschko auf dem Maidan in Kiew. Als ihre Stimme versagte und sie nur noch flüstern konnte, spielte sie Klavier. Kein Wunder, dass sie mit ihrem Temperament und Durchhaltevermögen im Mittelpunkt der Preisverleihung stand und ihre deutlich älteren männlichen Mitgewinner in den Schatten stellte. Dabei ist deren Verdienst kein bisschen geringer.
So bewirkte der von allen geliebte und verehrte "Tscheburaschka"-Vater Eduard Uspenskij in der russischen Öffentlichkeit ein mittelstarkes Erdbeben, als er vor einem Jahr in einer Live-Sendung die "Krim-Eroberung" als eine "Schandtat" bezeichnete und 90 Prozent seiner Mitbürger Verdummung durch die Propaganda und "Unfähigkeit selbständig zu denken" attestierte. Viele säßen mit offenem Mund vor der "Zombie-Kiste" - wie man heutzutage auf Neu-Russisch den Fernseher nennt. Neben der Begeisterung einiger Weniger schlug dem Schriftsteller für diese Äußerung eine Hasslawine entgegen.
"Mein Land ist verrückt geworden"
Genauso erging es dem russichen Altrocker Makarewitsch, der den Mut hatte, in einer von der ukrainischen Armee zurückeroberten Siedlung in Donbass vor Flüchtlingskindern zu singen. Nun ist das Idol von gestern eine persona non grata im eigenen Land. Makarewitsch geht damit aber souverän um: "Mein Land ist verrückt geworden - und ich war nicht in der Lage, es aufzuhalten", heißt es in seiner neuen Ballade.
Jewgenij Zacharow, der die Absetzung von acht korrupten Polizeichefs bewirkte und dabei sein Leben riskierte, mahnte die Ukrainer vor Selbstverherrlichung und Ignoranz: "Die ukrainische Gesellschaft braucht dringend Toleranz", sagte er in seiner Dankesrede. "Denn ein Teil von ihr ist beinahe rasend geworden und meint, gegen Separatisten und russische Aggressoren seien alle Mittel recht."
Zum Dialog mahnte auch der Festredner der Zeremonie, der Präsident des Europaparlaments Martin Schulz: "Das unverantwortliche Handeln des Präsidenten Putin, die Annexion der Krim, die Aggression in der Ostukraine und der wiederholte Wortbruch, die von der Regierung der Russischen Föderation ausgehen, erinnern uns an die finstersten Zeiten des Kalten Krieges. Und dennoch können und müssen wir natürlich versuchen, die Beweggründe und Motive der russischen Regierung zu verstehen und nachzuvollziehen, warum Russland handelt wie es handelt. Denn ohne ein echtes Bemühen, so schwer es auch sein mag, den jeweils anderen zu verstehen, wird ein Dialog nicht von Erfolg gekrönt sein". Es waren Worte "im Geiste von Kopelew".
Der nicht dotierte Kopelew-Preis wird seit 2001 jährlich vom Lew Kopelew Forum in Köln verliehen. Damit will das Forum Menschen, Projekte oder Organisationen auszeichnen, die im Sinne Kopelews tätig sind. Der Autor und Menschenrechtler, der 1912 in Kiew geboren wurde und 1997 in Köln starb, hatte sich in besonderer Weise für Völkerverständigung und Aussöhnung zwischen Russen und Deutschland eingesetzt. Kopelew bezeichnete sich auch als "Russe jüdischer Herkunft", der aber in Kiew geboren wurde und die Ukraine mit ihrer eigenen Kultur hoch achtete.