"Man darf auf seinen Doppel-Partner nicht sauer sein"
21. Oktober 2020DW: Sie haben Ihren überraschenden Doppel-Triumph vom Vorjahr bei den French Open wiederholen können. Werden Grand-Slam-Siege für Sie zur Normalität?
Andreas Mies: Nein, überhaupt nicht. Das fängt jetzt alles gerade erst an. Wir genießen das extrem. Letztes Jahr war für uns der Start. Wir haben damals gesagt, da wird noch viel kommen. Wir sind immer drangeblieben und hoffen natürlich, dass dies nicht der letzte Titel bleiben wird.
Kevin Krawietz: Ich würde mich sehr gerne daran gewöhnen. Aber das ist natürlich nicht selbstverständlich. Im letzten Jahr war es ein absolutes Highlight. Wir schossen von Null auf Hundert hoch. Dass wir das bestätigen konnten, ist natürlich großartig. Wir spielen auf einem guten Level.
Ihre größten Erfolge haben Sie bisher auf Sand gefeiert - warum nicht auf einem anderen Belag, etwa auf einem Hartplatz?
Mies: Wir haben ja auch schon auf anderen Belägen gezeigt, dass wir Topleistungen bringen können, etwa als wir bei den US Open im letzten Jahr das Halbfinale erreichten. Oder mit unserem Achtelfinal-Einzig in Wimbledon auf Rasen im Jahr 2018, bei unserem ersten Grand-Slam-Turnier. Das war unser erstes Ausrufezeichen mit Matchbällen gegen die späteren Sieger. Wir fühlen uns eigentlich auf allen Belägen wohl. Aber vielleicht liegt uns Asche besonders gut, weil wir auf diesem Belag groß geworden sind. Ich bin mir aber sicher, dass wir am Ende unserer Karriere, wann immer das auch sein mag, auch auf anderen Belägen Titel geholt haben.
Jedes Kind, das einen Tennisplatz betritt, spielt normalerweise Einzel. Weshalb haben Sie sich für das Doppel entschieden?
Krawietz: Ich habe es ja einige Jahre im Einzel probiert. Und es gab drei, vier schwierige Jahre, in denen ich nicht weitergekommen bin. 2018 hat es für mich immerhin zur Qualifikation für ein Grand-Slam-Turnier gereicht. Aber man muss ehrlich zugeben, dass mir Doppel schon immer besser gelegen hat und ich dort auch schon früher bessere Ergebnisse erzielt habe. Vielleicht habe ich dieses Spiel einfach besser verstanden. Und als es dann mit Andi 2018 losging, wurde mir endgültig klar, dass ich im Doppel erfolgreicher werden kann.
Mies: Die Frage, die man sich stellt, ist: Will man die ganze Karriere auf Challenger-Turnieren [zweithöchste Turnierserie im Profitennis - Anm. d. Red.] Einzel spielen, mit der Chance, ab und zu an einem ATP-Turnier teilzunehmen? Oder möchte man große Turniere spielen, vielleicht sogar große Titel gewinnen? Als ich 2015 eine Knie-Operation hatte, habe ich mir genau diese Frage gestellt, weil mir bewusst war, dass es mit dem lädierten Knie sicher nicht einfacher würde. Und die Chance, an den Turnieren teilzunehmen, die ich als Kind immer im Fernsehen gesehen habe, war im Doppel viel größer. Ich gewinne lieber Grand Slams im Doppel als Challenger-Titel im Einzel.
Worin besteht denn der große Unterschied zu den Einzelspielern? Tennis spielen können Sie beide auch außergewöhnlich gut.
Mies: Wenn man uns spielen sieht, glaube ich nicht, dass man sofort einen Unterschied sieht. Es geht vor allem um die Konstanz, dass man die Schläge qualitativ hochwertig immer wiederholen kann. Für mich stellte sich die Frage, ob ich mit meinen Knieproblemen diese hohe Intensität im Einzel leisten kann.
Krawietz: Ich glaube, der Unterschied liegt in der Physis. Ins Einzel muss man schon mehr Arbeit investieren. Die Einzelspieler müssen sich mehr quälen, wenn sie ein Best-of-five-Match auf Sand gewinnen wollen. Im Doppel muss man körperlich auch auf einem hohen Niveau sein, aber ein Match dauert selten drei Stunden und mehr. Und diese ständigen, sehr anstrengenden Vorhand-Rückhand-Wechsel gibt es bei uns in dieser Form nicht.
Tennis ist nicht nur körperlich anstrengend, auch die mentale Belastung ist außergewöhnlich hoch. Können Sie diese während eines Doppel-Matches in gewissem Sinne teilen?
Mies: Es ist schon mental hart, alleine auf dem Platz zu stehen und zum Beispiel die Challenger-Tour zu überstehen. Aber wir beide sind auch im Doppel mental sehr stark, weil es oft sehr eng zugeht bei den Matches. Die guten Einzelspieler haben alle eine "Waffe": eine besonders gute Vorhand oder Rückhand oder einen starken Aufschlag. Wir beide sind zwar auch sehr komplette Spieler. Aber sich alleine hochzuarbeiten, ist schon eine extrem harte Angelegenheit.
Krawietz: Der Vorteil im Doppel ist, dass der eine den anderen rausreißen kann, wenn der mal einen schlechten Tag hat. Einzelspieler müssen an solchen Tagen alleine damit umgehen. Das können die guten Spieler eben besser, die weniger guten haben damit Probleme. Im Doppel hilft man sich gegenseitig, da kann man die mentale Belastung tatsächlich irgendwie teilen.
Tennis ist in erster Linie ein Einzelsport, und die Spieler haben in der Regel auch eine egoistische Sichtweise auf die Dinge. Mussten Sie sich erst auf Teamfähigkeit besinnen?
Mies: Das mussten wir am Anfang auch erst lernen. Man entwickelt sich zu einem Team. Am Anfang hatte man vielleicht manchmal den Impuls, sich zu ärgern. Aber das gewöhnt man sich ganz schnell ab. Man muss seinen Partner stark machen und sich als Team notfalls auch stark reden. Man darf den anderen nicht runterziehen. Ich hatte früher mal bei einem Future-Turnier [Wettbewerbe der ITF Future Tour sind die niedrigste Kategorie im Profi-Tennissport – Anm. d. Red.] mal einen Doppelpartner, der sich immer ärgerte, wenn ich einen Fehler machte. Das habe ich sofort nach dem Match angesprochen. Danach habe ich noch ein Match mit ihm gespielt, dann nie wieder.
Krawietz: Der Teamgedanke ist im Doppel sehr wichtig. Mit Egoismus könnte es vielleicht auch funktionieren. Aber wenn der Partner mal einen wichtigen Punkt vergibt, muss man damit umgehen können. Dann darf man nicht sauer auf ihn sein. Auf keinen Fall.
Kevin Krawitz aus Koburg, 28 Jahre alt, und der 30-jährige Kölner Andreas Mies treten seit 2017 gemeinsam im Tennis-Doppel an. Ihre größten Erfolge feierten sie bisher beim Grand-Slam-Turnier in Parius, wo sie sich 2019 und 2020 den Doppel-Titel holten. Bei den US Open 2019 erreichten sie das Halbfinale.
Das Interview führte Jörg Strohschein.