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Wie realistisch sind Bluttests zur Krebsdiagnose?

Gudrun Heise
20. Juli 2021

Ein Bluttest, der Krebs genau und zuverlässig in einem frühen Stadium erkennt, wäre ein großer Schritt in der Krebsfrüherkennung. Nach einer US-Studie ist das durchaus realistisch, doch die Tests sind auch umstritten.

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Illustration Krebszelle
Bild: Imago Images/Science Photo Library

50 verschiedene Krebsarten soll ein Test aus den USA erkennen können. Entwickelt und finanziert wurden die Studien vom Unternehmen GRAIL, Inc. in Kalifornien. Der Bluttest soll nicht nur zeigen können, ob Krebs vorliegt, sondern sogar wo er sich im Körper befindet. 

Die Ergebnisse der kalifornischen Studie waren Ende Juni in der Krebszeitschrift "Annals of Oncology" beschrieben worden. Weltweit haben Wissenschaftler an der Optimierung derartiger Verfahren geforscht. Inzwischen gibt es etliche vielversprechende Ansätze.

"Bis aber nach ersten Erfolgsmeldungen ein zuverlässiger Krebsfrüherkennungstest für die breite Anwendung in der Bevölkerung vorliegt, ist noch weitere Forschung notwendig", sagt Susanne Weg-Remers vom Krebsinformationsdienst des DKFZ, des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. Sie sieht den Hype um die neusten Studienergebnisse zu Bluttests kritisch.

Susanne Weg-Remers vom Deutschen Krebsforschungszentrum DKFZ
Dr. Susanne Weg-Remers ist Leiterin des Krebsinformationsdienstes des DKFZBild: Carina C. Kircher/DKF

"Möglicherweise wird nach aktuellem Stand ein bisschen zu viel versprochen. Damit ein Bluttest sich als Früherkennungsuntersuchung eignet, müssen noch weitere, anders designte klinische Studien mit sehr hohen Probandenzahlen laufen. Nur so können wir sicher sein, dass diejenigen, die diesen Test anwenden, tatsächlich einen Nutzen davon haben, das heißt, Krebs wird zuverlässig, präzise und so frühzeitig erkannt, dass es gute Heilungschancen gibt. Und mögliche Risiken des Tests müssen sich im Rahmen halten."

Wie funktioniert der Test?

Verschiedene Voraussetzungen sind nötig, damit ein Bluttest dem Krebs auf die Spur kommen kann. Dazu müssen Krebszellen, Teile ihrer DNA oder für Krebs typische Biomarker in der Blutbahn zirkulieren. Nur dann kann der Bluttest den Tumor auch finden.

"Der hier beschriebene Bluttest untersucht die Erbinformation, von der man vermutet, dass mögliche Tumorzellen sie ins Blut abgeben. Sogenannte Methylierungsmuster sind offenbar verändert, wenn ein bestimmter Tumor im Köper vorkommt", erläutert Weg-Remers.

Diese Methylierungsmuster sind bei entarteten Zellen, also Krebszellen, anders als bei gesunden. Bei der Methylierung der DNA übertragen Enzyme bestimmte Methylgruppen auf bestimmte DNA-Basen. Sie modifizieren die Erbsubstanz. Die DNA-Methylierung verändert die Struktur der DNA und dementsprechend auch ihre Eigenschaften.

Künstliche Intelligenz hilft bei der Auswertung

Mehr als eine Million Stellen einer DNA soll der Bluttest aus Kalifornien ermitteln können, ein Algorithmus soll die Ergebnisse auswerten und auch die Muster verschiedenen Arten von Krebs und Geweben zuordnen. Bei der letzten Teilstudie haben die Forscher 2823 Personen untersucht, bei denen Krebs bereits diagnostiziert worden war und 1254 gesunde. Je weiter der Krebs fortgeschritten war, umso häufiger gab es ein Ergebnis.

Eine Patientin bekommt Blut abgenommen
Ein einfacher Bluttest soll verschiedene Krebsarten erkennen könnenBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

"Um Tests, die zur Früherkennung geeignet sind, zu charakterisieren, ist zunächst einmal die Sensivität wichtig. Das heißt, man muss schauen, wie oft erkennt der Test einen Tumor korrekt, und man muss auch die Spezifität bestimmen, also die Häufigkeit, mit der der Test richtig erkennt, dass kein Tumor vorhanden ist. Das sind zwei wichtige Kenngrößen für einen Test, den man für die Früherkennung einsetzen möchte", erläutert Weg-Remers.

Gerade bei frühen Krankheitsstadien werden Tumoren häufiger übersehen, da es oft noch keine Symptome gibt. "Gerade da aber wäre es sinnvoll, Tests einzusetzen, die den Krebs zuverlässig entdecken." Voraussetzung sei, dass der Test zu einem sehr hohen Prozentsatz funktioniere und den Tumor korrekt nachweise aber auch richtigerweise Entwarnung gibt, wenn kein Tumor da ist.

Früherkennung ist das A und O

Der neue Bluttest konnte bei über 50 verschiedenen Krebsarten in verschiedenen Stadien Krebssignale erkennen. Im Durchschnitt waren 51,5 Prozent der Resultate korrekt positiv (Sensitivität), während 99,5 Prozent der Testergebnisse korrekt negativ waren (Spezifität).

Aber es gibt noch weitere Fallstricke: Bei manchen Menschen zeigen Tests einen Tumor an, obwohl es ihn gar nicht gibt. Das Ergebnis ist also falsch-positiv. Aber auch falsch-negative Ergebnisse gibt es, wenn eine vorhandene Krebserkrankung durch den Test nicht erkannt wird. Der Patient fühlt sich sicher, aber diese Sicherheit ist nicht nur trügerisch, sie kann lebensgefährlich werden, wenn der Krebs nicht behandelt wird.

Beschichtete Nano-Magnet-Partikel umringen Krebszellen
Mit einem funktionierenden Bluttest könnte Krebs schon im Frühstadium erkannt werdenBild: das fotoarchiv

Verschiedene Krebsstadien

Rund 200 verschiedene Krebsarten gibt es, 50 wurden im Rahmen der Studie untersucht. Bei den untersuchten Patienten lagen verschiedene Krebsstadien vor. Die Studie berücksichtigte also Tumoren, die sich noch in einem sehr frühen Stadium befanden, aber auch Krebs im fortgeschrittenen Stadium.

Je weiter der Krebs fortgeschritten war, umso höher war die Trefferquote. Sie lag bei Patienten mit Krebs in Stadium IV, also bei schon fortgeschrittener Erkrankung, bei 90,1 Prozent. Wesentlich geringer war das Ergebnis bei der Früherkennung. Im Stadium I erkannte der Test lediglich 16,8 Prozent. Oder – anders gerechnet: In rund 83 Prozent der Fälle wurde der Krebs im frühen Stadium durch den Test nicht erkannt.

Die zuverlässige Früherkennung mithilfe von Bluttests werde noch dauern, ist Weg-Remers überzeugt. "Wenn ich ein fortgeschrittenes Tumorstadium habe und ein Bluttest erkennt meinen Tumor, dann nutzt mir das zur Früherkennung nichts, denn dann gibt es die Tumordiagnose bereits."

Gefahr von Überdiagnosen

Nicht nur falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse können problematisch sein. Bei allen Früherkennungstests könne es auch zu Überdiagnosen kommen, gibt Weg-Remers zu bedenken.

"Man entdeckt möglicherweise einen Krebs, der zu Lebzeiten dem Patienten keinerlei Probleme gemacht hätte. Es gibt Tumoren, die so langsam wachsen, dass sie nie symptomatisch werden. Wird ein solcher Tumor über einen Bluttest erkannt, wird der Betroffene zum Krebspatient mit entsprechenden Konsequenzen. Er unterzieht sich einer möglicherweise folgenschweren Behandlung, die vielleicht gar nicht notwendig gewesen wäre."

Die meisten Menschen wollen einen Krebs verständlicherweise so schnell wie möglich loswerden, sind verunsichert und lassen sich aus Angst behandeln. Erstmal abwarten und die Entwicklung des Tumors beobachten, ist für die meisten Menschen keine Option.

Bluttests stehen erst am Anfang

In Deutschland gibt es zurzeit keinen Bluttest zur Krebsfrüherkennung in der Bevölkerung, dessen Nutzen positiv bewertet wurde und der entsprechend von den Krankenkassen bezahlt wird. Auch das PSA-Screening zur Früherkennung von Prostatakrebs ist umstritten. Wer sich für einen solchen Test entscheidet, muss die Kosten selbst tragen. Anders ist es, wenn ein Mann bereits Symptome hat, die auf Prostatakrebs hinweisen. Dann zahlt die Krankenkasse die PSA-Bestimmung.

Blutproben im Labor
In den USA sind Bluttests zur Früherkennung bereits rezeptfrei zu habenBild: Universitätsklinikum Heidelberg

"Die Hürden sind sehr hoch. In Studien muss nachgewiesen werden, dass ein Krebsfrüherkennungstest einen eindeutigen Nutzen hat. Das heißt, der Test wird nur dann in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen, wenn man damit einen Tumor auch im frühen Stadium entdecken kann, nicht erst im fortgeschrittenen. Es ist auch wichtig, dass es geeignete Behandlungsmethoden gibt, um diesen frühen Tumor so gut zu behandeln, dass sich die Heilungschancen wesentlich verbessern", sagt Weg-Remers.

Bluttests als Ergänzung

In den USA steht der Multi-Krebs-Früherkennungstest bereits rezeptpflichtig zur Verfügung. Er soll als Ergänzung zu bereits existierenden Screeningmethoden für bestimmte häufige Krebsarten dienen und zur Früherkennung von Krebsarten, für die es noch keine erprobten Untersuchungsverfahren gibt. Dazu gehören der gefährliche Bauchspeicheldrüsen- und Speiseröhrenkrebs genauso wie der Leberkrebs.

Es gibt zurzeit sehr viele Bluttests, die in Studien erprobt werden. Nicht immer gibt es rein medizinische Gründe, um die Forschung voranzutreiben. "Es gibt Firmen, die die Angst vor Krebs mit solchen Bluttests sozusagen als Geschäftsmodell entwickelt haben. Sie bieten diese Tests auf Selbstzahlerbasis an. Dann macht der Patient einen solchen Test, bekommt ein unauffälliges Ergebnis und wiegt sich in trügerischer Sicherheit oder aber er bekommt große Angst und unterzieht sich weiterer Diagnostik, weil der Test vermeintlich einen Tumor gefunden hat", so Weg-Remers.

Einen zuverlässigen, validierten Test, gegen egal welche Art von Krebs, aber gebe es derzeit noch nicht. Bis es so weit ist, seien noch viel Forschungsarbeit und etliche Studien notwendig.