Robert Schwentke über den Film "Der Hauptmann"
15. September 2017Seine letzten Filme hat er in Hollywood gedreht, mit Stars wie Jodie Foster und Bruce Willis. Für seinen neuen Film "Der Hauptmann" (in der Titelrolle Max Hubacher, Bild) ist der Regisseur Robert Schwentke in seine Heimat nach Deutschland zurückgekehrt. Vor ein paar Tagen stellten Schwentke und sein Team den Film erstmals einem großen Publikum vor - aber nicht in Deutschland, sondern auf dem nordamerikanischen Kontinent: beim Filmfestival in Toronto.
Für sein deutsches Kino-Comeback hat sich der Regisseur eine Geschichte aus den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs ausgesucht. "Köpenickiade" nennt man diese Form der Hochstapelei. Schwentke erzählt die unglaubliche wie abscheuliche Geschichte des Kriegsverbrechers Willi Herold, den es tatsächlich gegeben hat. Herold, ein einfacher Gefreiter, war im Chaos der letzten Kriegstage von marodierenden deutschen Soldaten gejagt worden - bis er, durch einen Zufall, an die Uniform eines Luftwaffen-Hauptmanns geriet. Von nun an änderte sich für Herold alles.
Plötzlich wird er von den deutschen Soldaten hofiert, jeder akzeptiert seine Befehle. Herold gründet eine Kampftruppe, die - angeblich auf Geheiß von Adolf Hitler - barbarische Aufträge hinter der Front ausführen soll. Und so kommt es auch: Herold und seine Truppe üben schlimme Kriegsverbrechen aus.
DW traf den Regisseur nach der Weltpremiere von "Der Hauptmann" in Toronto zum Gespräch.
Deutsche Welle: Sie haben uns total überrascht mit dem Film - positiv überrascht! Wir haben etwas völlig anderes erwartet. Wie sind Sie zu diesem Film gekommen?
Robert Schwentke: Ich habe nach einer Story gesucht, bei der man etwas über die dritte, vierte, fünfte Täterreihe erzählen kann. Es gibt bemerkenswerterweise in Deutschland nur zwei Filme, die tatsächlich aus der Täterperspektive erzählt sind. Das ist "Aus einem deutschen Leben" mit Götz George (1977), eine fiktive Biographie von Rudolf Höß. Und dann gibt es noch die "Wannsee-Konferenz", ein Fernsehfilm aus den 1970er Jahren. Es sind beides sehr tolle Filme. Aber selbst bei diesen beiden Filmen geht es um die erste Täterreihe. Wir wissen ja, dass der Nationalsozialismus ein extrem dynamisches System war. Mich hat es einfach interessiert, wie sich diese Dynamik auf einer menschlichen Ebene ausdrückt.
Selbst in der deutschen Literatur gibt es eigentlich nichts aus der Täterperspektive - es gibt einen sehr frühen Heinrich-Böll-Roman, dann gibt es etwas von Hubert Fichte. Es ist auffällig, dass wir die einzige Kultur sind, die nichts aus der Täterperspektive erzählt hat.
Warum ist das so?
Das fängt schon mal da an, dass wir den Mythos der sauberen Wehrmacht hatten. Da bin ich mit groß geworden: Die deutsche Wehrmacht, das waren halt professionelle Soldaten, die waren nicht ideologisch motiviert und die haben an Massakern und am Genozid nicht teilgenommen, das war die SS…
Und dann natürlich 1989, nachdem viele Fotoarchive im Osten aufgemacht wurden und die Fotos verfügbar waren, hat man gesehen, dass dieser Mythos völlig falsch ist. Die Wehrmacht war mitnichten sauber. Die haben auch teilgenommen an Erschießungen, auch und vor allem in Polen 1940. Als dieser Mythos erstarb, hat mich das schon sehr interessiert.
Was hat Sie an diesem speziellen Stoff so fasziniert?
Ich hatte das Gefühl, dass man aus einer Ameisenperspektive den Krieg erzählen konnte. Ein Gefreiter, der sich eine Offiziersuniform anzieht und dann diese Massaker mitveranstaltet - das hat mir auch die Möglichkeit gegeben über den Krieg im Allgemeinen etwas zu sagen und über die Lagersituation im Spezifischen. Vielleicht sogar ein bisschen analytisch vorzugehen und zu gucken, wie kommt es überhaupt zum Genozid? Was für Konditionen sind notwendig? Es war so eine unglaubliche absurde Geschichte. Das hat mich einfach sehr interessiert.
Ich hatte nach einer Geschichte gesucht, mir ist dann diese untergekommen und es hat dann sehr lange gedauert, bis ich überhaupt wusste, wie man das als Film erzählen kann. Das ist ja auch nicht so ganz einfach, wie man mit der Gewalt umgeht. Ich wusste, was ich nicht tun wollte. Aber was ich tun wollte, war dann schwieriger rauszufinden.
Was wollten Sie denn nicht tun?
Ich wollte das überhaupt nicht ausbeuten, ich wollte das auch nicht hochkochen. Es geht mir überhaupt nicht darum, die Zuschauer in den Krieg zu versetzen, das ist ein absurdes Anliegen. Es ist ein Film, der auch eine gewisse Abstraktion und Distanz haben sollte - und musste. Es war mir auch wichtig, dass man nicht versucht, den Hauptmann psychologisch, mit den Begriffen der klinischen Psychologie, zu erklären. Das macht man immer gerne, im Sinne von, "das ist ein Psychopath, ein Soziopath…".
Ich glaube, dass das überhaupt gar nichts erklärt. Es gibt keine monokausale Erklärung. Ich fand es auch wichtig, dass man so einen weißen Fleck erzählt bei diesen Menschen. Wo wir uns auch als Zuschauer reinprojizieren können. Das Anliegen ist, dass die Leute sich die Frage stellen: Was würde ich tun? Das ist natürlich eine Fragestellung, die sich bei einer Geschichte über die Täter aufdrängt und der man sich z.B. entziehen kann, wenn man einen Film guckt, wo die Leute ethisch und moralisch auf der richtigen Seite des Arguments stehen. Mit denen identifizieren wir uns - und wir wollen ja auch alle glauben, dass wir mutig und moralisch unterwegs gewesen wären. Aber natürlich spiegeln die Fakten das nicht wider.
Bei dem Film - und das hat uns so überrascht - geht es von einem Extrem zum anderen, er ist mal brutal, mal klamaukig, mal ganz still. Das hängt natürlich auch mit der Kamera zusammen. Wir haben als Vorbilder Andrei Tarkowski gesehen, Pier Paolo Pasolini …
…ja, und auch Jacques Tourneur…
Wie sind Sie zu dem Stil des Films gekommen? Wie haben Sie das entwickelt?
Ich habe in dem Sinne nicht eine persönliche Handschrift. Ich finde es eigentlich langweilig, wenn man ein Bild aus einem Film sieht und sofort sagt, 'aha - das ist der und der Regisseur'. Das klappt bei Tarkowski, das klappt bei Robert Bresson, bei Carl Theodor Dreyer, das klappt bei ganz vielen und da ist es ganz wunderbar - da weiß man immer sofort, wer das ist.
Für mich ist es langweilig. Ich hab keine Lust mich formal zu wiederholen. Und da finde ich Regisseure wie Nagisa Oshima viel interessanter. Die haben gesagt: Für jedes Sujet, das ich mir aussuche, für jede Geschichte, die ich erzähle, werde ich eine neue, passende, formale Herangehensweise entwickeln. Meistens hat das geklappt, manchmal nicht. Manchmal war es auch zu experimentierfreudig. Aber auch das ist mir eigentlich lieber: Das ist auf einem hohen Level vielleicht verfehlt, aber das finde ich eigentlich spannender, als immer wieder dasselbe Ding rauszuhauen. Ein anderer Regisseur, den ich auch sehr verehre, Alain Resnais, hat das auch so gemacht hat, da ähneln sich keine zwei Filme von ihm.
Meine Herangehensweise ist es immer, zu fragen: Was braucht der Film? Ich hab noch nie eine formale Herangehensweise auf den Film daraufgesetzt. Das ist immer aus dem Film selbst entstanden. Und das ist auch die Arbeit, die wir leisten mussten beim "Hauptmann": Zu fragen, was ist die richtige Art und Weise, diesen Film zu inszenieren? Ich bin kein großer Freund des Naturalismus. Ich wusste, es wird eine Überhöhung geben, es wird eine Überhöhung bei den Schauspielern geben. Das ist vielleicht auch ein Selbstschutz meinerseits bei dieser Geschichte. Das war vielleicht die einzige Art und Weise, wie ich mich dem annähern konnte und wie ich meine Zeit verbringen konnte. Dass ich wusste, ich werde das ein bisschen überhöht erzählen.
Robert Schwentke wurde vor der Weltpremiere seines Films in Toronto von den KINO-Redakteuren Hans Christoph von Bock und Scott Roxborough interviewt. Mehr von Schwentkes neuem Film "Der Hauptmann" in der neuen Ausgabe von KINO. Außerdem gibt es Sportfilme u.a. über die Tennislegenden Borg und McEnroe, und Musikdokus mit Eric Cplaton und Lagy Gaga. "Der Hauptmann" wird beim Filmfestival im spanischen San Sebastian am 29. September seine Europapremiere haben.