Kriegs-Kantate - Theater gegen Trauma
29. Juni 2015"Ich verrate dir ein Geheimnis: ich habe vergessen, warum ich in diesem Krieg kämpfe." Dies erzählt eine der Hauptfiguren des Stücks "Cantate de guerre" - "Kriegs-Kantate". Die Inszenierung des kongolesischen Regisseurs Harvey Massamba bildete am Samstag den grandiosen Abschluss des afrikanischen Theaterfestivals Africologne in Köln. Die Figur, die auf der Bühne vom Krieg erzählt, ein Familienvater, hat Grausamkeiten verübt: Mord, Vergewaltigung, Zerstörung von ganzen Dörfern.
Erlebnisse, die er lange verdrängt hat und die irgendwann später wieder hoch kommen. Er muss darüber reden. Im Stück des kanadischen Autors Larry Tremblay geht es dabei nicht um einen bestimmten Krieg oder einen bestimmten Ort. Die menschlichen Hintergründe und Konsequenzen von ethnisch motiviertem Hass und Gewalt werden hinterfragt.
Genau das hat Harvey Massamba interessiert. "Als ich den Text las, hat er mich sofort berührt, weil er über eine Situation sprach, die bei uns real und greifbar ist", erzählt Massamba aus seiner Heimat, der Republik Kongo. Jahrelang wurden sein Land und dessen Bewohner von Krieg geschunden, aber nie habe es eine psychologische Arbeit mit den Opfern und den Tätern gegeben. "Viele Leute leiden unter psychischen Folgen. Sie sind verwirrt. Sie sind Eltern geworden und sie geben heute diese katastrophale und vom Krieg zerstörte Mentalität an ihre Kinder weiter", so Massamba.
Der ermunternde Geist
In "Kriegs-Kantate" muss nicht nur der Vater, sondern auch der Sohn mit traumatischen Erinnerungen kämpfen. Als Kind sah er, wie seine Mutter von einer Gruppe von Soldaten vergewaltigt wurde. Am Anfang steht er unter Schock; nur einzelne Wörter kommen ihm über die Lippen. Nach und nach kann er seine Geschichte erzählen und sich teilweise von ihr befreien. Neben Vater und Sohn steht eine weitere Figur auf der Bühne: ein Geist im roten Gewand. Durch seine Fragen und Kommentare ermuntert er beide zum Nachdenken und Reden, damit sie sich über ihre Erlebnisse und Taten klarer werden.
Inspiriert wurde der Autor Larry Tremblay von den Konflikten im Kosovo und Tschetschenien. Aber da der Text keine geographische Referenz nennt, war es für Harvey Massamba kein Problem, die Handlung in einen afrikanischen Kontext zu versetzen. "Der Krieg ist überall gleich" betont der Regisseur. "Die Grausamkeiten des Krieges sind überall in der Welt die gleichen: vergewaltigte Frauen, Kinder die Soldaten werden, Waisen, Hunger und am Ende Traumata."
Begleitet wird die Aufführung durch Gesang und Musik des Künstlers Simon Winsé aus Burkina Faso, der auf der Bühne traditionelle afrikanische Instrumente wie Kora, Mundbogen und guineische Flöte spielt. Damit wollte Harvey Massamba an die Rolle des Ngangas erinnern, des spirituellen Heilers im Kongo, der durch Musik an die Geister appelliert, um Menschen mit bestimmten Krankheiten und Problemen zu helfen.
Keine Therapeuten, aber Theater
Mit dem Theaterstück sei es dem kongolesischen Regisseur nicht darum gegangen, den Krieg plakativ auf der Bühne darzustellen. "Es reicht nicht, sich vor dem Publikum hinzustellen und den Krieg zu denunzieren", sagt Massamba. Statt eine einfache Botschaft zu vermitteln, will er das Publikum berühren, und es auch mit unangenehmen Situationen konfrontieren. "Deswegen habe ich für den Vater diese emotional neutrale Erzählart ausgewählt, obwohl er von Grausamkeiten spricht. Von diesen Grausamkeiten mit einer solchen Gleichgültigkeit zu reden, wirkt viel brisanter".
Als das Stück in Brazzaville, die Hauptstadt der Republik Kongo, aufgeführt wurde, fühlten sich die Zuschauer angesprochen, erzählt Harvey Massamba. Ihnen sei bewusst geworden, wie wichtig diese psychologische Aufarbeitung sei. Wenn schon nicht mit Psychotherapeuten, dann wenigstens mittels des Theaters.