Krisenbranche Kreuzfahrt - wieder auf Kurs?
21. Februar 2022Von den weltweit knapp 400 großen Kreuzfahrtschiffen lagen wegen der Pandemie zeitweise mehr als 90 Prozent unbeschäftigt auf Reede oder in den Häfen. Mittlerweile sollen nach Branchenangaben zwei Drittel wieder unterwegs sein.
Bis 2019 galt die Kreuzfahrtbranche als der am stärksten wachsende Tourismusbereich, die großen Anbieter wie TUI Cruises, MSC oder Aida verzeichneten hohe Gewinne und Wachstumsraten. TUI Cruises hat als einer von wenigen Anbietern seit Juli 2020 durchgehend Reisen angeboten. Die Reederei bestätigt, dass derzeit fünf von sieben Schiffen der "Mein Schiff"-Flotte unterwegs sind. Allerdings sei zu beobachten, dass Reisende für die laufende Wintersaison "eher kurzfristig" buchen, so Pressesprecherin Friederike Grönemeyer.
Sicheres Reisen - mit Rückschlägen
Alles in allem gelten Kreuzfahrten als eine vergleichsweise sichere Form des Reisens in Corona-Zeiten. Dabei kommt ihnen ein Umstand zugute, der lange als einer der Hauptkritikpunkte galt, nämlich dass sie in einem nahezu abgeschlossenen System stattfinden können: Vor und während der Reise werden Crewmitglieder und Passagiere regelmäßig getestet - entsprechend der Vorgaben des internationalen Kreuzfahrtverbandes CLIA (Cruise Lines International Association). Darüber hinaus gibt es keine Buffets, überall gilt Maskenpflicht und elektronische Schlüsselkarten oder Smartphone-Apps sorgen für ein fast lückenloses Tracking.
Trotzdem kam es rund um den Jahreswechsel 2021/22 zu mehreren Reiseabbrüchen wegen Corona-Fällen, von denen auch die Anbieter AIDA, TUI-Cruises und MSC betroffen waren. Es habe sich lediglich um "vereinzelte Fälle an Bord" gehandelt, betont "Mein Schiff"-Sprecherin Grönemeyer. Die Hygienekonzepte seien wirksam. Abermals wurden die Impfvorschriften verschärft: Vom 23. Februar an müssen alle Gäste, deren zweite Corona-Impfung länger als drei Monate zurückliegt, eine Booster-Impfung nachweisen.
Volle Fahrt voraus
Der Einbruch in der Kreuzfahrtbranche durch die Corona-Pandemie war trotz aller Vorsichtsmaßnahmen massiv: Allein in Deutschland sank die Zahl von 3,7 Millionen Reisenden im Jahr 2019 auf 1,4 Millionen in 2020 - und im Pandemie-Jahr 2021 fast auf den Nullpunkt. Trotzdem müssen die Schiffe betriebsbereit gehalten werden, um jederzeit für einen Neustart bereit zu sein. Dadurch verursachen sie Kosten, ohne Einnahmen zu generieren.
Ungeachtet dessen blickt die Kreuzfahrtbranche optimistisch in die Zukunft - und wird darin von Experten bestätigt. "Die Branche wird noch größer werden", sagt Professor Ulrich Reinhardt von der FH Westküste, der auch wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg ist. "Das Angebot ist einfach zu attraktiv und Kreuzfahrten bleiben für viele Traumurlaube." Zudem sei die Wiederholungsrate enorm hoch: Wer einmal an Bord war, komme sehr wahrscheinlich wieder.
Kreuzfahrt-Boom "wünschenswert"
Auch Bernhard Jans von der Freizeit und Touristik GmbH, der seit mehr als 20 Jahren als Berater und Qualitätsmanager in der Kreuzfahrtbranche tätig ist, rechnet damit, dass die Sparte sogar gestärkt aus der Pandemie herauskommen wird. "Immer mehr wird das Schiff selbst das Ziel sein, das umfassend für das Urlaubserlebnis sorgt. Es wird sich immer mehr als Ferienresort mit Freizeitpark-Charakter etablieren."
Dafür sorgen Unterhaltungsshows an Bord, Pools, Sonnendecks, Bars und Discos, dazu Angebote für Kinder und Jugendliche - und das oft mit "All-Inclusive-Angeboten" für Essen und Trinken. Dieser Trend zum "Urlaub an Bord" war schon vor Corona zu verzeichnen, doch durch die Pandemie hat er sich verstärkt, weil aufgrund der Hygienevorschriften bis zum Sommer vorigen Jahres nur noch organisierte Ausflüge erlaubt waren.
Bernhard Jans beschreibt es so: "Die Kreuzfahrt hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren vom eher exklusiven Luxusprodukt zu einem des Massentourismus entwickelt. Statt Entdeckerfreude steht jetzt 'Spaß für sich selbst' im Mittelpunkt."
Auf die Frage, ob eine solche Entwicklung überhaupt wünschenswert sei, überrascht der Experte mit dieser Antwort: "Ja, denn dann muss nicht auch noch der letzte Winkel dieser Erde mit Hotels und Freizeitparks verbaut werden, sondern es kann möglichst viel von dem erhalten bleiben, was Natur und Lebenswelt überall auf der Welt ausmacht." Und das könne dann für die wenigen Touristen reserviert bleiben, die das zu schätzen wüssten und zu diesen Zielen eben nicht mit einem großen Kreuzfahrtschiff anreisten.
Viele der Reedereien kämpfen - durchaus erfolgreich - gegen das Umweltsünder-Image ihrer Kreuzfahrtschiffe. Das attestiert ihnen auch das NABU-Kreuzfahrtranking des Naturschutzbundes Deutschland. Neue Schiffe werden mit kleineren und sparsameren Motoren geordert, Abgase und Abwasser gründlicher gereinigt und immer mehr der großen Kreuzer nutzen bei ihren Hafenaufenthalten Landstrom, statt für den Energiebedarf an Bord den eigenen, dieselbetriebenen Schiffsmotor laufen zu lassen.
Mit der Zeit gehen
Wenn sich dieser Trend als Folge der Pandemie verstärkt, dann kann die Corona-Krise trotz der desaströsen wirtschaftlichen Folgen für die Kreuzfahrtbranche auch positive Effekte haben, sagt Professor Sven Groß von der Hochschule Harz: "Anbieter sollten die Unterbrechung nutzen, sich (noch mehr) mit dem Thema Nachhaltigkeit, unter anderem ökologische Verbesserungen, und der Kritik am sogenannten Overtourismus auseinandersetzen." Diese Themen spielten für immer mehr Deutsche im Alltag - und bei der Urlaubswahl - eine Rolle, also auch in der Kreuzfahrtbranche.
Das bestätigt Friederike Grönemeyer von TUI Cruises für ihr Unternehmen: "Wir stellen fest, dass dieses Thema in den vergangenen Jahren auch bei unseren Gästen vermehrt nachgefragt wird - sowohl bei der Buchung als auch später an Bord beispielsweise in der nautisch-technischen Fragestunde mit dem Kapitän." Deshalb seien einige Maßnahmen eingeführt worden, mit denen die Passagiere aktiv an ökologisch sinnvollen Einsparungen teilhaben könnten: Wasserspender statt Minibars, weniger Handtücher und ein sparsameres Bettwäschewechsel-Konzept.
Solche Positivbeispiele sind zwar erfreulich, sagt Professor Ulrich Reinhardt, doch alles in allem hat er keine große Hoffnung, dass sich das Urlaubsverhalten der (Kreuzfahrt-)Reisenden in diese Richtung ändern wird: "Der Urlaub als Highlight des Jahres soll im Wesentlichen zwei Wünsche erfüllen: Erholung und Kontrast zum Alltag. Um dieses zu erreichen, schalten die allermeisten Reisenden ihr Gewissen ab." Die große Mehrheit sei nur zu Kompromissen bereit, "die das Urlaubsglück und den eigenen Geldbeutel nicht schmälern." Veränderungen erwarte er daher eher durch Innovationen bei den Angeboten.
Ähnlich sieht es Bernhard Jans: "Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind nicht die Themen der Kreuzfahrt-Touristen, es sind die Themen derjenigen, die NICHT auf Kreuzfahrt gehen." Es komme darauf an, dass die Reiseveranstalter ihren Kunden das Gefühl geben, "nicht mit schlechtem Gewissen" auf ihren Trip gehen zu müssen. "Wer das schafft, wird große Startvorteile am Markt haben", ist der Kreuzfahrtexperte überzeugt.