Krisendiplomatie läuft auf vollen Touren
20. Februar 2022Im Konflikt um die Ukraine haben die Präsidenten Frankreichs und Russlands, Emmanuel Macron und Wladimir Putin, in gleich zwei Telefonaten nach Wegen zu einer Deeskalation gesucht. Laut Kreml vereinbarten sie in einem - eine Stunde und 45 Minuten dauernden - Telefonat am Vormittag angesichts der aufgeflammten Gewalt in der Ostukraine, "die Suche nach Lösungen auf diplomatischem Wege über die Außenministerien und die politischen Berater" zu intensivieren - im Normandie-Format mit Vertretern Russlands und der Ukraine unter deutsch-französischer Moderation. So solle erreicht werden, dass der Waffenstillstand wieder eingehalten werde und "Fortschritte bei der Beilegung des Konflikts" erreicht würden. Ein zweites Gespräch folgte am späten Abend - Details daraus wurden nicht bekannt. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian wird schon am Montag seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow treffen.
Treffen von Ukraine, Russland und OSZE
Wie es aus dem Élyséepalast hieß, wird auch intensiv daran gearbeitet, ein Treffen der trilateralen Kontaktgruppe in den nächsten Stunden zu ermöglichen mit dem Ziel, von allen Beteiligten eine Zusage für einen Waffenstillstand an der Kontaktlinie in der Ostukraine zu erhalten. Dort stehen sich die ukrainische Armee und die von Moskau unterstützte Separatisten gegenüber. Der trilateralen Kontaktgruppe gehören die Ukraine, Russland und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an.
Weitere Telefonate mit Selenskyj, Scholz, Biden und...
Macron telefonierte im Anschluss erneut mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dieser habe die Dialogbereitschaft seines Landes im Konflikt mit Russland betont, hieß es in Paris. Selenskyj habe erneut zugesichert, nicht auf Provokationen der Separatisten zu reagieren. "Wir stehen für eine Intensivierung des Friedensprozesses", schrieb Selenskyj auf Twitter. Man unterstütze ein sofortiges Treffen der Kontaktgruppe.
Macron sprach zudem noch mit Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden sowie weiteren westlichen Regierungschefsdarüber, wie eine Deeskalation der Krise erreicht werden könne.
Auch US-Präsident Joe Biden steht weiter für Gespräche mit seinem russischen Kollegen Putin zur Verfügung. "Präsident Biden ist jederzeit bereit, sich auf Präsident Putin einzulassen - egal in welchem Format", sagte US-Außenminister Antony Blinken im US-Fernsehen. Blinken selbst plant diese Woche ein Treffen mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Europa - unter der Bedingung, dass Russland bis dahin nicht in die Ukraine einmarschiert ist.
Johnson: Putin denkt möglicherweise nicht logisch
Der britische Premierminister Boris Johnson wiederum äußerte die Befürchtung, dass Putin in der gegenwärtigen Krise nicht logisch vorgehe. Die Androhung wirtschaftlicher und finanzieller Sanktionen reiche womöglich nicht aus, um "einen irrationalen Akteur abzuschrecken", sagt Johnson in der BBC. "Wir müssen im Moment akzeptieren, dass Wladimir Putin möglicherweise nicht logisch denkt und das Desaster nicht sieht, das vor ihm liegt." Es drohe der potenziell größte militärische Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Johansson: EU bereitet sich auf Kriegsflüchtlinge vor
Die EU bereitet sich für den Fall eines russischen Angriffes gegen die Ukraine auf einen möglichen Zustrom von Kriegsflüchtlingen vor. "Ja, wir arbeiten daran", sagte die für das Thema zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz. Bereits seit einigen Wochen würden mit den Mitgliedstaaten Notfallpläne erstellt - insbesondere mit denen, die unmittelbar an die rund 41 Millionen Einwohner zählende Ukraine grenzen.
Grundlage für die Vorbereitungen sind nach Angaben von Johansson unterschiedliche Szenarien, die basierend auf Informationen der Vereinten Nationen und Erfahrungen nach dem russischen Vorgehen gegen die Ukraine im Jahr 2014 erstellt wurden. Für den Fall eines Angriffs nur im Osten wird so zum Beispiel damit gerechnet, dass die meisten flüchtenden Menschen erst einmal im westlichen Teil der Ukraine Schutz suchen. Sie würden dann dort Unterstützung brauchen, sagte die Schwedin. Als vermutlich wichtigstes Fluchtziel in der EU nannte Johansson das direkt an die Ukraine grenzende Polen, daneben aber auch Italien, Deutschland und Frankreich.
Nicht sagen wollte Johansson, mit vielen Kriegsflüchtlingen in den unterschiedlichen Szenarien gerechnet wird. Anhaltspunkte hatte allerdings bereits am Freitag US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bei einem Besuch in Warschau gegeben. Seinen Angaben zufolge könnte allein Polen "Zehntausende von vertriebenen Ukrainern und anderen Menschen über seine Grenze strömen sehen, die versuchen, sich und ihre Familien vor den Schrecken des Krieges zu retten". Weitere direkte Nachbarländer der Ukraine in der EU sind die Slowakei, Ungarn und Rumänien.
sti/qu (afp, dpa, rtr)