Kristina Vogel: "Verlieren kann ich nicht"
25. Dezember 2018DW: Wie ist Ihre Situation jetzt, ein gutes halbes Jahr nach Ihrem schweren Unfall?
Kristina Vogel: Ich habe die Folgen noch nicht ganz verarbeitet. Es gibt es immer noch Tage, wo ich mir wünschen würde, dass mein Zustand ein anderer wäre. Aber es ist, wie es ist. Ich bin nun nicht mehr auf zwei Beinen, sondern auf zwei Reifen unterwegs. Ich lerne jetzt, wie das Leben mit einem Rollstuhl funktioniert. Manche Dinge gehen gar nicht mehr und manche ganz anders.
Welche Etappen haben Sie in den letzten Monaten durchlebt?
Ich bin nach dem Sturz noch auf der Radrennbahn wach geworden und konnte meine Beine nicht mehr bewegen. Da ahnte ich schon, dass ich nicht mehr würde laufen können. Als ich aus dem Koma aufwachte und meine Beine nicht mehr spürte, war für mich klar, ich bin querschnittgelähmt. Dadurch konnte ich die Situation schnell annehmen und für mich verarbeiten. Ein 'Gibt es nicht doch eine Chance?' hat es bei mir nicht gegeben.
Was müssen Sie jetzt lernen, da Sie sich nicht mehr wie früher bewegen können?
Das Wichtigste war, sich so schnell wie möglich eine gute Rumpfstabilität zu erarbeiten. Das macht vieles leichter. Aber es ist immer noch so, dass ich mich, wenn ich etwas Schweres hebe, am Rollstuhl festhalten muss. Im Krankenhaus ist alles behindertengerecht, im Alltag ist das anders. Deshalb ist mein Ziel, möglichst bald mal einen Topf vom Herd nehmen zu können, ohne dass ich mich dabei festhalten muss.
Hilft es Ihnen bei der Rückkehr in den Alltag, dass Sie aktive Sportlerin waren?
Ich habe als Leistungssportlerin natürlich viel Muskulatur mitgebracht. Die versuche ich jetzt wieder zu aktivieren. Das ist bei meiner Therapie das Wichtigste. Es hilft aber besonders vom Kopf her, weil ich weiß, wie hart der Weg zum Erfolg sein kann und dass es sich auszahlt, wenn man dranbleibt und darum kämpft. Ich bin schon eine unheimlich ehrgeizige Patientin. Und manchmal nerve ich die Ärzte sicher auch, weil mir vieles nicht schnell genug geht.
Neben der Sportkarriere hatten Sie ihre berufliche Entwicklung bei der Bundespolizei vorangetrieben. Wie geht es damit weiter?
Die Bundespolizei hat mir bis jetzt sehr viel geholfen. Sie lässt mir auch Zeit, zu schauen, welchen konkreten Job ich mit der Behinderung machen kann. Darüber hinaus habe ich auch andere "Ämter": Ich bin im DOSB [Deutscher Olympischer Sportbund - Anm. d. Red.] und vor einem Jahr auch im Radsport-Weltverband UCI in die Athletenkommission gewählt worden. Dort möchte ich mich auch weiterhin einbringen.
Sie wurden kürzlich Zweite bei der Wahl zur "Sportlerin des Jahres" und auch als "Radsportlerin 2018" geehrt. Wie schwer war es, wieder auf eine Radrennbahn zu kommen, auf der Sie früher so erfolgreich waren?
Es war schön. Ich habe es genossen, wieder bei den Teamkollegen zu sein und Hallo zu sagen. Das war etwas Besonderes. Wir waren all die Jahre so oft zusammen bei Wettkämpfen und Trainingslagern. Man kann sagen, wir waren wie eine Familie. Diese Gemeinsamkeit vermisse ich aktuell am meisten.
Sie haben in der Klinik einige neue Sportarten ausprobiert, unter anderem Bogenschießen. Reizt es Sie, in dieser Disziplin vielleicht eine zweite, eine paralympische Karriere zu starten?
Das Unfallkrankenhaus gibt mir viele Möglichkeiten, mich auszutesten. Neben Bogenschießen kann ich kegeln oder Basketball spielen. Ich habe auch schon im Kanu gesessen. Das macht mir alles Spaß, weil es wieder den Ehrgeiz weckt. Körperlich bin jedoch noch lange nicht so weit, um an Leistungssport zu denken. Das wird bestimmt noch drei, vier Jahre dauern. Dann muss es eine Sportart sein, für die ich so brennen kann wie für den Bahnradsport. Wenn ich als Sportlerin zurückkomme, will ich auch wieder erfolgreich sein. Verlieren kann ich nämlich immer noch nicht.
Ihnen sind viele Sympathien zu geflogen. Menschen in Deutschland und im Ausland haben an ihrem Schicksal Anteil genommen. Wie ist das zu erklären, wo der Bahnradsport doch nur eine Sportart am Rande ist?
Diese Welle von Sympathie war atemberaubend, muntert mich auf und gibt mir Mut. Ich habe viel Fanpost ins Krankenhaus bekommen. Dazu Blumen, Süßigkeiten oder Bücher von mir vollkommen unbekannten Menschen. Das zeigt mir, welchen Wert der Sport doch hat, wie er Menschen verbindet, wie viele mir zugeguckt haben in aller Welt. Vielleicht bekomme ich auch diese Sympathie, weil ich ehrlich mit meiner jetzigen Situation umgehe, sie annehme. Gleichzeitig sehe ich darin auch eine Aufgabe. Ich will zeigen, dass man jeden Tiefschlag überwinden kann, wenn man dran glaubt.
Bis zu ihrem schweren Unfall war Kristina Vogel einer der erfolgreichsten Bahnradsportlerinnen der Welt. 2012 wurde die in Kirgisien geborene Deutsche in London mit Miriam Welte Olympiasiegerin im Teamsprint. Bei den Spielen 2016 in Rio de Janeiro gewann sie Gold im Sprint und mit Welte Bronze im Teamsprint. Zudem sammelte Vogel elf Weltmeister-Titel. Seit einem Trainingssturz am 26. Juni 2018 im Cottbuser Radstadion ist die 28-Jährige querschnittgelähmt.
Das Interview führte Herbert Schalling.