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Kultur kürzen?

Aya Bach/Marlis Schaum22. März 2012

Die Hälfte aller deutschen Theater und Museen schließen? Eine provokante Forderung von vier Autoren sorgt für Wirbel in der Kulturbranche. Im Ausland wird Deutschland jedenfalls um seine Kulturförderung beneidet.

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Ein Stop-Schild vor blauem Himmel (Foto: picture-alliance/Ebner-Pressefoto)
Bild: picture-alliance/Eibner-Pressefoto

Sie wollen den "Heiligenschein der Kultur demolieren" und haben damit eine heftige Diskussion ausgelöst. Genau das wollten die vier Autoren aber auch, die das Buch über den deutschen "Kulturinfarkt" geschrieben haben. Sie freuten sich über die rege Debatte, sagte Pius Knüsel, einer von ihnen.

In dem Buch heißt es: "Wer Kulturbetrieb und Kulturpolitik kritisiert, ist nicht der Feind der Kunst. Im Gegenteil: Uns liegt daran, sie zu befreien - von den vermeintlichen Schützern, die sie umarmen bis zur Erstickung. Die Forderungen sind nicht neu, aber aktueller denn je: mehr Unternehmergeist, mehr Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen des Publikums, weniger Allmachtsphantasien. Und das Eingeständnis, dass die Welt an der Kunst nicht genesen wird."

Kritik von den Kritisierten

Kritik daran kam vor allem von denen, die von den vier Autoren kritisieren werden: den Kulturinstitutionen. Von Museumsleitern, Verbänden und Organisationen. Der Deutsche Kulturrat merkte an, dass eine Reduzierung des Kulturetats um 50 Prozent keine nennenswerte Entlastung der öffentlichen Haushalte bringen würde. Der Deutsche Bühnenverein wies darauf hin, dass keine Stadt, die ein Theater schließe, die frei gewordenen Zuschüsse in alternative Kultur oder das Nachbartheater stecken würde. Außerdem könne man nicht dem gesamten Kulturbetrieb das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage "überstülpen". Ein Kunstmarkt sei auf Eigentumsbildung ausgerichtet, Theater- und Konzertangebote nicht.

Das Geld, das in die Kulturförderung fließt, bezeichnen die vier Autoren als Subventionen. Das klingt nach dem Verschleudern von Steuergeldern und wirkt in diesem Zusammenhang wie ein Kampfbegriff, der die Sache nicht trifft. Müsste man nicht eher von Investition sprechen? Mittel für Kultur sind nicht automatisch verschleuderte Steuermilliarden, sondern vergleichsweise bescheidene Summen, die gesellschaftliche Debatten in einer Demokratie ermöglichen - um die Reflexion und Kritikfähigkeit zu stärken. In Deutschland fließen nicht mal zwei Prozent der öffentlichen Mittel in Kultur; rund zehn Euro pro Einwohner im Monat.

Buchcover "Der Kulturinfarkt" (Foto: Knaus)
Das Buch - Zankapfel der SzeneBild: Andreas Pavelic

Fakten gegen Meinungen und Fakten

Dieser Betrag wird eingesetzt, damit Kultur nicht nur die gut verdienende Elite erreicht, wie es die Autoren des "Kulturinfarkts" unterstellen. Kultur entsteht tatsächlich da, wo die Menschen sind - überall im Land. Und befasst sich mit ihren Problemen. Besonders deutlich wird das in der Theaterlandschaft, die sich ziemlich flächendeckend über die Republik erstreckt. Dort widmen sich Künstler nicht nur Goethes "Faust" oder Mozarts "Zauberflöte". Längst kümmert sich Theater um aktuelle Themen und Debatten, um Rechtsradikalismus oder Fremdenfeindlichkeit, um Atomkraft und Finanzkrise. Was an Mitteln in Kultur fließt, in die geistige Aktivität von Menschen, kommt den Bürgern einer Region und letztlich der gesamten Gesellschaft zugute.

Anderswo träumen Kulturschaffende von so etwas. "Deutschland ist im Kulturbereich die Super-Power der Welt", sagt etwa der schwedische Regisseur Staffan Valdemar Holm. Er kam schon als junger Mann zeitweise nach Deutschland, weil ihn die Theaterszene begeisterte. Der größte Pluspunkt aus seiner Sicht: Theater in Deutschland ist dezentral in den Regionen und Städten verankert. Selbst im reichen Schweden ist das anders. Theater konzentriert sich auf die Städte Stockholm, Göteborg, Malmö. Der Rest des Landes geht ziemlich leer aus. Dass das in Deutschland nicht so ist, hat auch historische Gründe. Jeder noch so kleine Fürst hatte früher sein Theater. Diese Struktur hat sich bis heute weitgehend gehalten, zum Wohl der Bevölkerung, die auch in kleinen Orten am Kulturleben teilhaben kann.

Eine lachende und eine traurige Theater-Maske (Foto: Fotolia)
Jede Förderung hat ihre Vor- und ihre NachteileBild: crimson/fotolia.com

Lob von den Auswärtigen

Wollte man 50 Prozent der Theater schließen, wie es die "Kulturinfarkt"-Autoren fordern, man verlöre genau das, was die deutsche Szene ausmacht, nämlich ihre "unvergleichliche Vielfalt", wie Holm sagt. Er lebt mittlerweile in Deutschland - und ist nun Intendant am Schauspielhaus Düsseldorf. Dass die sogenannten Subventionen Kreativität ersticken sollen, kann er nicht nachvollziehen. "Gerade so werden Experimente erst möglich", sagt er. "Jeder Unternehmer weiß, dass man in Kreativität investieren muss!" Auch mit Blick auf die USA, wo er immer wieder gastiert hat, sieht er Deutschland deutlich besser positioniert: "Ganz Amerika bietet nicht, was Deutschland jeden Tag leistet. In den USA funktionieren nur die großen Prestige-Theater wie die Met. Aber selbst die Weltstadt New York leistet sich keinen anständigen Shakespeare!"

Der rumänische Theatermann und Übersetzer Victor Marian Scoradet bewundert die Förderung von Dramatikern in Deutschland. 2009 hat Scoradet in Weimar die Goethe-Medaille für seine grenzüberschreitende Arbeit erhalten und er beklagt schon lange, dass es die rumänischen Theater versäumt hätten, ihre eigenen Autoren zu fördern: "Die deutschen Dramatiker dagegen", so Scoradet, "werden gefördert, können sich erlauben, alle Risiken einzugehen, und daher wagen sie auch sehr viel. Dieses Wagnis finde ich vorbildhaft für Autoren aus einem ex-totalitären Land."

Blick in den leeren Theatersaal der Komödie am Kurfürstendamm in Berlin (Foto: dpa)
Förderung statt leerer SäleBild: picture-alliance/dpa

Förderung hängt nicht nur vom Geld ab

Auch in wohlhabenden Nachbarländern hat Kunst einen schwereren Stand als in Deutschland. In den Niederlanden wurden die Mittel für Theater so weit heruntergefahren, dass Künstler sich abwenden und nach Deutschland gehen. So wie Annemie Vanackere, die im September Intendantin am Berliner Hebbel am Ufer (HAU) werden wird. Sie stammt aus Belgien, hat aber lange in den Niederlanden gearbeitet. Dort sei es "in den vergangenen Jahren stetig bergab gegangen", konstatiert sie. "Daran ist vor allem das politische Klima schuld. Besonders im vergangenen Jahr musste die Kunst ihre Existenzberechtigung ständig verteidigen." Besorgniserregend aus ihrer Sicht ist vor allem der Widerstand der rechtspopulistischen Partei PVV "gegen alles was angeblich 'links' und 'elitär' ist, wodurch eine Debatte über die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst schlichtweg unmöglich gemacht wird".

Die Debatte in Deutschland hat erst begonnen. Ob sie wirklich Folgen haben wird? Wir beobachten das.