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Kurz: "Ausgesprochen beunruhigend"

Andreas Noll23. Juni 2013

Der britische Geheimdienst GCHQ soll nach Medienberichten Internet-Nutzer deutlich stärker ausspähen als der US-Geheimdienst NSA. Im DW-Interview erklärt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club die Hintergründe.

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Porträt Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Club (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Deutsche Welle: Frau Kurz, nach der Enthüllung des US-Abhörprojekts "Prism" heißt es nun, der britische Geheimdienst übertreffe die NSA noch bei der Überwachung des Internet. Hat Sie das überrascht?

Constanze Kurz: Es wird ja schon seit Jahren darüber berichtet, dass die Briten sich an den Kommunikationskabeln, die über ihre Insel laufen, gütlich tun. Insofern war nur überraschend, in welcher Menge sich die Dienste ihre rechtsfreien Räume geschaffen haben.

Ist das britische Spionageprogramm "Tempora" tatsächlich bedrohlicher als sein US-amerikanisches Pendant "Prism"?

Besonders bedrohlich sind die beiden Programme in der Zusammenschau. Sowohl die Briten als auch die Amerikaner haben ja Regeln für dieses anlasslose Überwachen: nämlich, dass ein Teil der Kommunikation außerhalb der USA oder eben Großbritannien liegen muss. Mit der Zusammenarbeit können sich jetzt die amerikanischen und die britischen Dienste die Daten gegenseitig zuschieben. Da kommt ein großer Prozentanteil der globalen Kommunikation zusammen. Wir reden bei den Briten über 20 Petabyte (20 Millionen Gigabyte, d. Red.), die nach den Veröffentlichungen des "Guardian" durchkämmt und für eine gewisse Zeit gespeichert worden sind. Auch die Zahl der Menschen, die daran beteiligt sind, ist gigantisch und eigentlich einer Demokratie nicht mehr angemessen.

Hauptquartier des britischen Geheimdienstes GCHQ in Cheltenham (Foto: Reuters)
Das Hauptquartier des britischen Geheimdienstes GCHQ in CheltenhamBild: Reuters

Haben die Briten besseren Zugang zu den Datenkabeln als die Amerikaner?

Es ist ein Vorteil für Großbritannien, dass es eine Insel ist und sehr viele Kabel darüber laufen. Es hat auch historische Gründe. Die ersten Unterseekabel, die vor vielen Jahrzehnten verlegt worden sind, verliefen teilweise von der Insel nach Amerika. Es geht aber nicht nur um die Kabel, sondern auch um Satellitenverbindungen.

Was kann der britische Geheimdienst mit dieser gigantischen Datenmenge anfangen?

Zunächst einmal werden die durchkämmt - wie das auch der amerikanische oder der deutsche Geheimdienst machen: nach bestimmten Suchbegriffen bei E-Mails oder Social-Media-Daten, aber auch nach E-Mail-Adressen, den IMEI-Identifikationsnummern von Handys etc. Und wir reden ja auch über mehrere 100.000 Menschen, die bei den privaten Söldnerfirmen auch noch Zugriff auf die Daten haben. Das ist ja ein so großer rechtsfreier Raum, dass man es sich kaum vorstellen kann.

Welche Ziele verfolgen die Geheimdienste?

Das Ziel Terrorbekämpfung, das ja immer wieder genannt wird, ist aus meiner Sicht hanebüchener Unsinn. Es hat eher damit zu tun, Kontrolle auszuüben - wie man das eigentlich Diktatoren vorwirft. Wenn man zur Terrorbekämpfung diese riesigen Datenmengen durchkämmt, wäre das ja eine unfassbar ineffiziente Methode. Traditionelle Geheimdienst-Methoden wären da viel effektiver. Da bleibt am Ende nur das sehr große und immer größer werdende Kontrollbedürfnis der Regierungen. Ich finde das ausgesprochen beunruhigend, und wir sollten uns damit auf keinen Fall abfinden.

Porträt Edward Snowden (Foto: Reuters/Ewen MacAskill/The Guardian/Handout)
Edward Snowden: Der frühere CIA-Mitarbeiter hatte das Überwachungsprogramm enthülltBild: Reuters/Ewen MacAskill/The Guardian/Handout

Gehen Sie davon aus, dass auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) Überwachungsprogramme in einem ähnlichen Ausmaß unterhält?

Von den Überwachungsprogrammen ist ja einiges bekannt. Teilweise macht der BND das ja im gesetzlichen Rahmen: Mit dem sogenannten G10-Gesetz ist eine strategische Fernmeldeüberwachung und Seedurchkämmung von Telefonaten und E-Mails grundsätzlich erlaubt. Von der Menge her ist es nicht vergleichbar, weil es Beschränkungen gibt und wir mit der G10-Kommission, die einen gewissen Überblick über dieses Abhören hat, noch irgendeine gesetzliche Form der Kontrolle haben - auch wenn das auch nicht angemessen ist. Man erhält nur einmal im Jahr eine statistische Übersicht, aber welche Unternehmen zum Beispiel mit dem BND kooperieren, um Datenauswertung zu machen, ist überhaupt nicht bekannt. Und genau diese privaten Unternehmen sind ja in den USA und Großbritannien ein sehr großes Problem.

Kann man sich als Internet-Nutzer vor dieser Überwachung überhaupt noch schützen?

Indem man seine E-Mails verschlüsselt, kann man sich in gewissem Maße schützen. Das ist ja heute sogar relativ leicht. Die Programme sind einfach zu benutzen. Aber bei den Meta-Daten, also wer wen anruft und von wo aus, wird das schon schwieriger. Ich denke auch nicht, dass das der Weg ist. Wir werden kurzfristig die im Westen entwickelten Verschlüsselungstechnologien, die eigentlich der Opposition in Diktaturen helfen sollten, selber nutzen. Aber wir müssen auch politisch und rechtlich ran. Diese umfassenden rechtsfreien Räume, in denen niemand mehr etwas prüfen kann, müssen enden.

Symboldbild "verschlüsselte Daten" (Fotp: fotolia/m.schuckart)
Erste Hilfe: Verschlüsselung der KommunikationBild: Fotolia/m.schuckart

Constanze Kurz ist ehrenamtliche Sprecherin des Chaos Computer Clubs und arbeitet als wissenschaftliche Projektleiterin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Als technische Sachverständige war Kurz Mitglied der Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Deutschen Bundestags.