Big Tech: Holen kleine Unternehmen auf?
26. November 2022Es ist ein Fall von "David gegen Goliath”. Wie in der biblischen Erzählung vom jungen Hirten, der zum Kampf gegen einen Riesen antritt, fordern kleinere Unternehmen und Nonprofit-Organisationen die Tech-Giganten unserer Zeit heraus. Ihr Plan: Internetuser davon zu überzeugen, zu ihren eigenen, datensparsamen Diensten zu wechseln.
Diese reichen von verschlüsselten Messenger- und E-Mail-Diensten bis hin zu privaten Webbrowsern. Und Führungskräfte der Firmen sagen der DW, sie hofften auf neuen Rückenwind, nachdem das Chaos rund um die Übernahme Twitters durch Elon Musk ein neues Bewusstsein dafür geschaffen habe, wie sehr Internet-Infrastruktur mittlerweile von einigen wenigen kontrolliert würde.
"Die Frage ist nun, wie stellen wir sicher, dass diese Alternativen auch die nötige Aufmerksamkeit bekommen, und das obwohl die Monopole der Tech-Unternehmen so mächtig sind?", sagt Meredith Whittaker, die Präsidentin der gemeinnützigen Signal-Foundation, die hinter der verschlüsselten Messaging-App Signal steht.
Andy Yen, der CEO von Proton, dem Hersteller des verschlüsselten E-Mail-Dienstes "Proton Mail", verglich die Situation mit den Anfängen der Umweltbewegung, die jahrzehntelang Kampagnenarbeit leisten mussten, bevor ein Bewusstsein für das Thema Eingang in den Mainstream fand.
"Jetzt sind wir plötzlich an einem Punkt, an dem es gesellschaftlich inakzeptabel ist, Umweltschutzfragen zu ignorieren", sagte er. Ähnlich, so ist er überzeugt, würde ein Bewusstsein für Datensicherheit im Netz wachsen, bis eines Tages ein ähnlicher Wendepunkt erreicht sei. "Es wird vielleicht 20 oder 30 Jahre dauern, aber der Wandel ist unvermeidlich".
Mitchell Baker, die CEO der gemeinnützigen Mozilla-Foundation und ihrer kommerziellen Tochtergesellschaft, die den Webbrowser Firefox entwickelt, teilt diese Einschätzung. "Wir befinden uns in der Anfangsphase eines großen Wandels, und solche Veränderungen brauchen viel Zeit", sagt Baker. "Aber wir arbeiten auf etwas hin."
Wie Big Tech, nur anders
Aber wie überzeugt man Menschen, die praktischen und meist kostenlosen Dienste von Big Tech zugunsten datenschutzfreundlicherer Alternativen aufzugeben?
Teil der Strategie Signals ist, seinen Messenger so aussehen zu lassen wie seine großen Konkurrenten, etwa Marktführer WhatsApp. So wurde gerade beispielsweise eine Funktion eingeführt, mit der Nutzer Videos, Bilder oder Texte posten können, die nach 24 Stunden wieder verschwinden.
Unter der Oberfläche sammelt die App währenddessen so wenig Daten wie möglich, betont Signals Präsidentin Whittaker. Nicht nur verschlüsselt der Messenger Nachrichten - etwas, was auch andere Dienste wie WhatsApp tun -, sondern er zeichnet auch keine Metadaten darüber auf, wer mit wem wann kommuniziert, und speichert keine Informationen über Profil-Namen oder Bilder.
Gegen ein "Überwachungs-Geschäftsmodell”
Und doch, ganz wie in der Geschichte von David und Goliath, ist es ein ungleicher Kampf. Nicht nur hat Signal einen Bruchteil der Mitarbeitenden von WhatsApp, das 2014 von Meta, damals noch bekannt als Facebook, gekauft wurde. Die im Silicon Valley ansässige Organisation muss auch alternative Einnahmequellen finden, um seinen kostenlosen Messenger zu finanzieren, dessen Unterhalt laut Whittaker "mehrere zehn Millionen Dollar" pro Jahr kostet.
WhatsApp macht den größten Teil seiner Einnahmen mit kostenpflichtigen Firmenkonten und einer Online-Bezahlfunktion. Gleichzeitig teilt das Unternehmen auch einige Daten über seine Nutzer, je nachdem, wo auf der Welt sie sich befinden, mit Meta - und Meta erzielt den Löwenanteil seiner Gewinne durch den Verkauf personalisierter Werbung auf Grundlage von Userdaten.
Das sei keine Option für Singal, so Whittaker. Stattdessen ist ihre Organisation vor allem auf Spenden angewiesen. Gleichzeitig, so Whittaker, beobachteten sie, wie ein allgemeines Bewusstsein für ein "Überwachungsgeschäftsmodell" von Big Tech zunehme. Deshalb sei sie überzeugt, dass "es unter den vielen Menschen, die Signal nutzen, genug gibt, die bereit sind, zu spenden".
Die Rolle von Regulatoren
Fragt man Andy Yen, den CEO des Genfer Softwareunternehmens Proton nach Big Tech, sagt er, das Problem mit den Internet-Riesen sei nicht ihre Größe. "Das Problem ist, dass Big Tech diese Größe nutzt, um einen Status quo zu festigen, der schlecht ist für Internetnutzer und schlecht für die Welt ist.”
Über die letzten zwei Jahrzehnte hinweg sind Start-ups wie Meta und Google zu einigen der mächtigsten Unternehmen der Welt herangewachsen. Heute beherrschen sie ihre jeweiligen Segmente des Internetmarktes und hätten es, so Yen, für Internetnutzer immer schwieriger gemacht, Alternativen zu verwenden.
Ein Paradebeispiel seien die Hürden, die viele Nutzer nehmen müssen, um das verschlüsselte E-Mail-Programm seines Unternehmens herunterzuladen: "Proton Mail" will eine Alternative zu E-Mail-Anbietern wie Googles "Gmail" sein, was unter anderem Geld damit verdient, Nutzern auf der Grundlage ihrer Online-Aktivitäten personalisierte Werbung anzuzeigen.
Aber um "Proton Mail" auf Mobiltelefonen mit Googles Android-Betriebssystem zu installieren, müssen die Nutzer die App über den App-Store des Tech-Riesen "Google Play" herunterladen. "Und um 'Google Play' zu benutzen, muss man praktisch 'Gmail' benutzen - sprich, wir sind in der absurden Situation, dass man 'Proton Mail' nur mit 'Gmail' bekommen kann", sagte Yen. "Das ist kein fairer Wettbewerb."
Auf Anfrage erklärte ein Google-Sprecher gegenüber der DW, dass zwar ein Google-Konto benötigt würde, um den App-Store der Firma zu nutzen, man aber ein solches Konto auch ohne "Gmail" erstellen könnte.
Doch Yen ist überzeugt, dass "es sich hier um ein Monopol handelt". Dabei, so sagte er, könnte das "mit vernünftiger Regulierung leicht gebrochen werden". Deshalb setzt er sich bei Gesetzgebern von Washington bis Brüssel für neue Gesetze ein, die den Wechsel zu Alternativen erleichtern und die so die Marktmacht von Big Tech eindämmen sollen.
"Verantwortungsvolle" Tech-Startups
Auf der anderen Seite des Atlantiks prescht die gemeinnützige Mozilla-Foundation in ungewohnte Gefilde vor: die Welt des Risikokapitals.
Die Organisation in San Francisco wurde Anfang der 2000er Jahre bekannt, als sie zusammen mit einer Gruppe Freiwilliger der Online-Community den Open-Source-Webbrowser Firefox entwickelte. Innerhalb weniger Jahre konnte der Browser anschließend einen Marktanteil von etwa 30 Prozent erreichen. Aber heute, im Jahr 2022, ist er zurück auf rund vier Prozent gefallen, während Googles "Chrome” und Apples "Safari” den Browser-Markt beherrschen.
"Open-Source hat sich in vielen Bereichen durchgesetzt und ist heute Teil vieler Anwendungen", sagt Mitchell Baker, Gründerin und CEO von Mozilla. Aber, so räumte sie ein, "worin wir versagt haben, ist dass das, was wir geschaffen haben, wirklich mächtig wurde."
Es ist einer der Gründe, warum die Mozilla-Foundation nun, während ihr gemeinnütziges Modell weiterläuft, einen mit 34 Millionen Euro dotierten Investitionsfonds für junge Technologie-Startups auflegt. Plan ist, eine neue Generation "verantwortungsbewusster" Unternehmer dabei zu unterstützen, Technologie zu entwickeln, die Mozillas strengen Datenschutzstandards entspricht. Wenn in den kommenden Jahre rechtliche Rahmenbedingungen weiter verschärft werden, würde das zu einem Wettbewerbsvorteil werden, hofft Mozilla.
Ob dieser Plan aufgeht, bleibt unklar - wie auch die Frage, ob das Wachstum von Diensten wie Signal oder Proton Mail weitergehen wird.
Meredith Whittaker von Signal sagte, es sei zutreffend, die Bemühungen von datenschutzorientierten Tech-Unternehmen wie dem ihren mit dem Kampf Davids gegen Goliath zu vergleichen.
"Aber wir haben die Wucht der öffentlichen Meinung hinter uns", sagte sie. "Durch die Gesellschaft hindurch und in Institutionen außerhalb der Tech-Branche verbreitet sich die Einsicht, dass ein Geschäftsmodell, das intime Daten über einen jeden in die Hände einer Handvoll Unternehmen legt, ein echtes Problem darstellt.”
Und zumindest in der Bibel besiegt Underdog David seinen übermächtigen Gegner.